Emotionale Stimmung beim EM-Eröffnungsspiel: Warum dieser Abend unvergessen bleibt
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Endlich wieder Stadionatmosphäre: Im Stadio Olimpico in Rom sahen 12.916 Zuschauer den Sieg der Italiener gegen die Türkei.
© Quelle: Killy
Nur wenige Zuschauer, Corona-Auflagen allerorten – und doch wurde das Eröffnungsspiel der EM zwischen der Türkei und Italien zu einem Fußballfest, von dem noch lange die Rede sein wird. Und das hatte mit eben jener Corona-Pandemie zu tun, die nur 15.000 Glückliche in die faschistische Weihestätte des früheren „Foro Mussolini“ einließ. Völkerfreundschaft im Marmordenkmal des Tyrannen.
Jan aus Köln war mit seinem Kumpel da – dem „Padrone“. Der Medizintechnik-Unternehmer fand die Idee seines Freundes mit italienischen Wurzeln gut, auf jeden Fall wieder zum Fußball zu fahren. Der Fan des 1. FC Köln hatte genau wie all die anderen Deutschen vor Ort in Rom unter der 15-monatigen Fußballzwangspause gelitten. Die war im Übrigen ja auch eine Bier- und Kontaktpause.
Und so wurde in der kleinen Birreria vor einem der Stadioneingänge gesungen, umarmt, gelacht und angestoßen, als hätte es nie ein Virus gegeben. Allerdings, so viel Zeit musste sein, wurden stolz die gelben Impfpässe gezeigt. Als bräuchte es eine amtliche Ermächtigung, dass es jetzt wieder losgehen kann mit dem Feiern.
Nichts, aber auch gar nichts konnte die Laune trüben. Weder das lausige Pizzabrot, das als Snack gereicht wurde, ein kalt-blasser Fladen, zusammengehalten von rotem Klebstoff, der wohl Tomatenmark gewesen sein mochte, noch vom amtlichen Preis von 5 Euro für 0,25 Liter des Euro-Sponsors Heineken. Und trotz aller lauten Fangesänge war die Stimmung in der Bierbretterbude geradezu feierlich. Beinahe ungläubig konstatierte man, wie toll es doch sei, hier zu sein.
Viele Deutsche unter den Fans im Stadion
Dabei spielte es keine Rolle, ob man nun mit einem Fan Italiens oder der Türkei anstieß. Für Menschen deutscher Muttersprache war das übrigens gar kein Problem. Schon im Flieger und am Flughafen Rom wimmelte es von deutschen Bürgerinnen und Bürgern in Azurri-Blau oder Türkisch-Rot. Und „Alder“ und „Digger“ waren die geläufigsten Konversationseröffner am Tiber-Ufer.
Ob Deutschitaliener oder Deutschtürke: Die zugereisten Fans waren gegenüber den genuin einheimischen Losgewinnern klar in der Mehrheit. So feierten die zweiten, dritten und vierten Generationen der vormaligen Gastarbeiter aus der Türkei und Italien vor den Toren und später im Herzen von Mussolinis faschistischen Stadtviertel, das in den späten 1920er-Jahren aus dem Boden gestampft wurde, ein feuchtfröhliches Völkerfest. Besser lässt sich mit diesem gruseligen Ort nicht umgehen.
Bis auf wenige Ausnahmen war auch das zufällig zusammengeloste Sitzumfeld im Stadion mit seinen zwei Plätzen Corona-Abstand deutschsprachig, mal mit Schweizer, dann wieder mit österreichischem Einschlag – abgesehen von den inbrünstigen Fan- und Hymnengesängen natürlich. Der Grund für die Übermacht der Einwandererkinder und Enkel lag zumindest bei den Türken auf der Hand. Denn wer nur einen türkischen und keinen Schengen-Pass vorweisen kann, darf nicht als Tourist nach Italien einreisen.
Umso frenetischer feuerten also die Deutschtürken ihr Team an – übrigens bis zum Schluss, als schon lange absehbar war, dass es gegen Italien nicht gut ausgehen würde. Bei aller Leidenschaft fürs eigene Team – die übergeordnete Passion für den Fußball, fürs gemeinsame Fiebern und Feiern – sie war das besondere an dieser Auftaktnacht zu einem weiteren „Un’estate italiana“, einem italienischen Sommer, wie Gianna Nanninis unvergessener Hit zur WM 1990 heißt.
Als der übrigens in der Birreria im TV lief, sang die ganze Bude inbrünstig mit, ob Halbmond oder mit grün-weiß-roter-Fahne auf dem Shirt. Und als später Andrea Bocelli im Stadion Puccinis Arie „Nessun Dorma“ aus der Oper „Turandot“ schmetterte, da schoss den bierfesten Fans nur so das Wasser aus den Augen. Es war ein emotionaler Overkill, dieser Abend von Rom. Wer dabei war, wird noch lang dran denken.