Hans im Glück – heute beginnt Flicks Mission als Bundestrainer

Hansi Flick auf dem Trainingsplatz.

Hansi Flick auf dem Trainingsplatz.

Die Dienstreise zu seinem ersten Länderspiel als Bundestrainer trat Hans-Dieter „Hansi“ Flick per Bus an. Am Mittwochnachmittag fuhr er die gut 200 Kilometer mit seiner Mannschaft von Stuttgart ins schweizerische St. Gallen. So weit, so unspektakulär.

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Nicht ganz. Unter Flicks Vorgänger Joachim Löw war das Team zum Nations-League-Spiel nach Basel noch per Charter gejettet – solche Umweltsünden soll es nun nicht mehr geben. Auch wenn Flick ganz gerne geflogen wäre, weil es zur professionellen Vorbereitung bei drei Spielen innerhalb kürzester Zeit gehört. Doch der Verband will sein Image aufpolieren, das in den letzten Jahren arg gelitten hat. Und Flick scheint genau der richtige Mann dafür zu sein.

„Flick ist unerreichbar“

Seine sportliche Qualifikation ist unbestritten. Beim FC Bayern stellte er einen Weltrekord auf, den nicht mal Pep Guardiola schaffte: Meister, Pokalsieger, Champions-League-Sieger, nationaler Supercupsieger, Supercupsieger Europas, Weltpokalsieger, noch mal Meister. In nur 20 Monaten! Der große Guardiola brauchte dafür mit dem FC Barcelona zwei Jahre.

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„Niemand wird diesen Rekord je brechen. Hansi Flick ist unerreichbar“, lobt Franz Beckenbauer, der Deutschland als Spieler und Trainer 1974 und 1990 zum Weltmeister machte. Und beruhigt die Skeptiker: „Flick kennt alle Strömungen beim DFB. Das ist wichtig, um nicht ins offene Messer zu laufen.“ Flick war vor allem wichtig, dass er sein neues Trainerteam selbst zusammenstellen und durchdrücken konnte – unter anderem installierte er einen neuen Co- und Torwarttrainer, dazu einen Experten für Standardsituationen.

2014 war Flick selbst noch Co-Trainer von Löw. Man erinnert sich an die Bilder, wie er die Spieler auf dem Wege zum WM-Titel in die Arme nahm, sie drückte, herzte. Genau das tat er dieser Tage beim ersten Training als Chefcoach auch. Er führte viele Einzelgespräche, vor allem mit den Sorgenkindern wie Leroy Sané oder Timo Werner. Er lachte mit ihnen, baute sie auf. „Wertschätzung“ nennt das der Hansi.

Hansi rufen sie ihn zeit seines Lebens, weil in der Flick-Familie viele Hans hießen. „Vielleicht lasse ich mir den Hansi im Pass festschreiben“, sagt Flick dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Noch war keine Zeit dafür.

Gleich nach der Saison mit dem FC Bayern hat er noch mal seinen Lieblingsasiaten Chang im Münchner Stadtteil Grünwald besucht, zu Sushi-Häppchen Wein getrunken („Ich genieße das mit meiner Frau oder Freunden. Ein, zwei Gläser, das ist okay.“). Flick hat festgestellt, dass er ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat. „Zur Bayern-Zeit ist vieles im Argen geblieben“, sagt er. „Weil ich immer im Stress war. Jetzt zu Hause habe ich wieder normale Abläufe. Heimat, das ist halt doch was anderes.“

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Er meint damit Bammental, eine beschauliche 6500-Seelen-Gemeinde bei Heidelberg, wo alles nach badischer Gemütlichkeit aussieht. Wo er Ehrenbürger ist. Wo er wieder wohnen wird, wenn er nicht gerade beim DFB in Frankfurt weilt. Oder mit der Nationalmannschaft unterwegs ist, die einst der Deutschen liebstes Kind war und mit der er nun wieder die Herzen erobern will. „Wir wollen aktiv sein und die Menschen begeistern“, sagt er.

Was den Trainer Flick ausmacht, hat Thomas Hitzlsperger, Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart und ein kluger Kopf, beschrieben. „Er hat gezeigt, dass man als Trainer nicht komplett einen Schlag haben und verrückt sein muss, um an der Spitze anzukommen.“ Nach oben kommen, ohne einen Schlag zu haben, das könnte für viele Bereiche des Lebens gelten, wenn nicht so viele doch einen „Schlag“ hätten.

Auch und gerade in der Trainerbranche: der portugiesische Sprücheklopfer José Mourinho („I’m the special one“), der außer Bayern fast alle klangvollen Klubs in Europa durchhat; Pep Guardiola, immer 100 Prozent unter Spannung, der mit seinem Coaching die Spieler nerven kann; Diego Simeone, der auf der Bank von Atletico Madrid die Gegner auffrisst; und nicht zuletzt Jürgen Klopp, den manche als „Menschenfischer“ verehren, der jedoch kratzbürstig, cholerisch, von oben herab sein kann.

Flick dagegen spielt sich nicht auf, beleidigt niemanden, hat für jeden ein freundliches Wort übrig. „Muss man wirklich einen Schlag weghaben? Nee, muss man nicht!“, sagt er. Ob er auch grantig oder richtig böse sein kann? „Ja, das kann ich sehr wohl.“

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Das haben sie in Hoffenheim und beim DFB gespürt, als der liebe Hansi seine Jobs als Geschäftsführer und Technischer Direktor hinschmiss, weil sie nicht nach seiner Pfeife tanzten. Bei Red Bull Salzburg warf er nach sechs Wochen hin, als er als Assistent dem Zickzackkurs des Cheftrainers Giovanni Trapattoni nicht folgen wollte.

Die Bayern hat es im tiefsten Herzen getroffen, dass ein Trainer diesen stolzen Klub einfach verlässt, freiwillig – und trotz Vertrags, um dem Ruf des DFB als Bundestrainer zu folgen. Direktor Oliver Bierhoff hatte die Tür nach dem Löw-Rücktritt dankbar aufgemacht. Er und Flick kennen und schätzen sich aus der ersten gemeinsamen Zeit beim Verband sehr. Für Flick stellte Bierhoff sogar sein Ego hintan, verzichtete darauf, wie üblich bei der Auftakt-PK auf dem Podium zu sitzen: „Das ist Hansis Bühne.“

Bei Bayern konnte Flick trotz aller Erfolge den Sportvorstand Hasan Salihamidzic nicht mehr ertragen, wenn dieser hinter seinem Rücken auf der Bank zu allem seinen Senf dazugab. Oder im Bus plapperte, bis Flick rausrutschte: „Nun halt endlich mal das Maul.“ Uli Hoeneß, als Ehrenpräsident und Aufsichtsrat immer noch der mächtigste Mann des FC Bayern, hatte einst sowohl Flick als auch Salihamidzic installiert. Er schlug sich auf die Seite des Sportdirektors, der am Tegernsee in der Hoeneß-Villa über jede Kleinigkeit Bericht erstattete. Auch das nagte am Nervenkostüm von Flick.

Als Spieler schon wusste sich der Gemütsmensch, der im winzigen Örtchen Mückenloch bei Heidelberg aufwuchs, zu wehren, als er, mit 1,77 Metern kein Riese, für fünf Jahre zum riesigen FC Bayern kam. Immer wieder ist es für ihn ein Schock, dass im Uefa-Hauptsitz am Genfer See ein XXL-Poster hängt, das ihn machtlos auf der Linie stehend zeigt, als Rabah Madjer mit der Hacke das 1:1 macht. Obwohl Bayern 1987 in diesem Europacupfinale der Landesmeister mit Stars wie Andi Brehme, Dieter Hoeneß oder Lothar Matthäus gut bestückt war, stand am Ende eine 1:2-Niederlage. Die trifft ihn bis heute, genauso das verletzungsbedingte Karriereende mit gerade mal 28 Jahren.

Zuletzt wusste er sich zu wehren, als sich die Zahl der Anrufe verhundertfachte. Flick schaltete das Handy aus. „Auch Whatsapp spielte verrückt. Das war nicht mehr zu bewältigen.“ Er rief, so weit möglich, zurück. „Wertschätzung“ heißt auch das bei ihm. „Zuverlässigkeit.“

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Jetzt, im neuen Job, weiß er auch das alte Bayern-Schlachtross Hermann Gerland in seiner Nähe. Nicht im Trainerteam, sondern als Scout, der ihm Spieler einflüstert, deren Kreativität über das Talent hinausgeht. „Seine Qualität ist es, Qualität zu erkennen“, so Flick. Er hat Bierhoff auch ein Konzept für den Nachwuchs mitgebracht.

Gerland ist eng eingebunden. Flick, der geborene Seelenklempner, baut lieber auf den Ruhrpott-Humor von Gerland als auf einen gelernten Psychologen, wie ihn sein Nachfolger Julian Nagelsmann von Leipzig mit zu den Bayern brachte.

Seine Tafel mit der Aufschrift „Erfolg ist kein Besitz, er ist nur gemietet – und die Miete wird jeden Tag fällig“ hat er bei Bayern liegen lassen. Bei der Nationalmannschaft sind sowieso überwiegend Spieler dabei, die ihn aus München kennen. Kapitän Manuel Neuer, Thomas Müller, Leon Goretzka, Serge Gnabry, Jamal Musiala, Leroy Sané, Niklas Süle. Und vor allem Joshua Kimmich, in dem Flick seine Wiedergeburt sieht. Für alle gilt Flicks Satz: „Spieler darf man nicht kleiner, sondern ruhig einen Kopf größer machen.“

Wir wollen aktiv sein. Wir wollen sehen, dass sich die Spieler für Deutschland zerreißen.

Hansi Flick

Vielleicht hat er das von Jupp Hey­nckes, den er verehrt. Heynckes hatte ihn bei Bayern mit der Ersatzbank gequält, gesagt: „Ich kann es dir nicht erklären.“ Flick sah in ihm dennoch sein größtes Leitbild. „Es war die Art und Weise, wie er mit Menschen umgegangen ist. Die Ehrlichkeit. Und wie modern er damals schon trainiert hat.“ Heynckes revanchierte sich, machte sich für Flick als Cheftrainer stark, sagte dann: „Ihm ist es gelungen, den FC Bayern zu befrieden.“ Ein größeres Kompliment kann es beim intriganten „FC Hollywood“ nicht geben. Ob Heynckes es auch über Flicks Arbeit beim Sauhaufen DFB sagen wird?

Ab heute: Offensivfußball

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Es ist kein hohler Spruch, dass er künftig etwas mehr Kraft bei der Familie schöpfen kann. Bei seiner Frau, den zwei Töchtern, zwei Enkelinnen. Die ältere davon hat mit großem Lacherfolg den verschämten Torjubel des Opas auf der Bayern-Bank imitiert: den Arm ganz cool zwei Sekunden hochreißen, schnell wieder fallen lassen. Auch das wollen sie bei Flicks in Bammental noch öfter sehen. Ab heute mit dem versprochenen Offensivfußball, in der WM-Qualifikation gegen Liechtenstein. Und im Winter 2022 bei der Endrunde in Katar.

Dass Flick es schafft, davon ist Miroslav Klose, mit 14 Treffern erfolgreichster WM-Torschütze aller Zeiten und zuletzt Flicks Co-Trainer, überzeugt. „Das Gute an Hansi ist, dass er nicht immer sagt: Ich, ich, ich.“ Und das kann dem DFB mit Sicherheit nicht schaden.

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