Fußball-WM

Gracias Argentina: Eine Liebeserklärung an Maradona, Messi und die Albiceleste

Lionel Messi und Lautaro Martínez lassen sich mit dem WM-Pokal feiern.

Lionel Messi und Lautaro Martínez lassen sich mit dem WM-Pokal feiern.

Leipzig. Seit 1986 bin ich Fußballfan. Seit 1986 schlägt mein Herz für Argentinien. Es fing natürlich mit Diego Maradona an, der damals im gleißend schönen WM-Licht aus Mexiko in unserem ersten Farbfernseher (RFT Stassfurt, Colorett 3006) alles in Grund und Boden dribbelte, passte, ins Tor bugsierte. Als Zehnjähriger wusste ich nichts vom Konflikt um die Falkland-Inseln. Aber ich sah den kleinen Mann im schönen Himmelblau und Weiß gegen den englischen und westdeutschen Fussballimperialismus ankämpfen und seine Magie sprang auf den Jungen aus Dessau (sozialistische Industriestadt, Neubaublock, am Ende der Lessingstraße) über.

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Nach dem Titel waren in der DDR kaum noch Spiele der Elf zu sehen. Aber mein Vater erwarb Bücher, die Europapokal-Spiele auch im westlichen Ausland nacherzählten. Bilder gab es wenige, ein paar schwarzweiße. Dafür Zeichnungen der Protagonisten, Karikaturen – unter anderem von Diego, im Dress von Neapel. Ein Traum! So kam irgendwann auch der Sommer 1990, erneut mit Diego. Dazu Caniggia, Burruchaga und Goycochea. Wieder Finale. Aber so ungelenke Typen mit Vokuhila und ungestaltem Trikolore-Dress zerstörten die Hoffnungen jäh. Nie wieder Deutschland!

D10S – immer am Abgrund

Das Leiden blieb. Diego ging nach 1994 irgendwann vom Platz, er wird dennoch immer meine Ikone bleiben. Nicht nur für seine Dribblings und Pässe, sondern vor allem auch für die Abgründe, aus denen er kam und die er zielsicher bis ans Lebensende suchte. Neben dem Fußballplatz hat er eigentlich immer nur falsche Entscheidungen getroffen – abgesehen vom Wechsel ins bitterarme Neapel. Der D10s, wie Diego in Südamerika und Süditalien mit sakraler Ehrfurcht und Sehnsucht auch genannt wird, ist permanent gescheitert, trotz allem derselbe und nahbar geblieben. Dafür liebt ihn Argentinien. Und ich auch.

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29. Juni 1986: Diego Armando Maradona wird bei der Siegesfeier in Mexiko City getragen und präsentiert dabei den WM-Pokal. Argentinien ist Weltmeister.

29. Juni 1986: Diego Armando Maradona wird bei der Siegesfeier in Mexiko City getragen und präsentiert dabei den WM-Pokal. Argentinien ist Weltmeister.

Seit es das Internet gibt, wurde es einfacher am Wirken der Albiceleste (Weißhimmelblauen) teilzuhaben. Sportzeitungen aus Buenos Aires sind auch im Online-Translator sehr informativ. Nachts am Live-Stream Qualifikationsspiele sehen, leichteste Übung. Und natürlich atemlos durch alle folgenden WMs. 1998: Viertelfinalaus. 2002: nicht mal K.o.-Runde. 2006, 2010 und 2014: immer wieder Deutschland. 2018: völliges Chaos, am Ende ohne Trainer. Leiden.

Lionel – ein Schatten

Mit Lionel Messi, dem so lange Gepriesenen, bin ich lange nicht warm geworden. Wenn er für Argentinien auflief, schien alles andere blockiert, verschwanden herausragende Spieler (Mascherano, Rodriguez, Riquelme, Crespo, Tevez) wie erzwungen, wie gelähmt in seinem Schatten. Das Spiel wurde nur auf ihn ausgerichtet, der Ausnahmefußballer musste zwangsläufig Wundersames vollbringen. Ein Wunderbarer reicht aber nicht aus, um Titel zu gewinnen. Auch nicht 2014 beim verlorenen Finale im Maracanã.

Seit Lionel Scaloni als Trainer an der Linie steht– im Übrigen gegen den Willen von Diego – ist alles anders. Argentinien wartet nicht mehr nur auf Messis Zauber. Argentinien spielt mit ihm und er endlich auch mit seinen inzwischen verjüngten, sensationell guten Mitspielern. Schon bei der Copa Amerika 2021 war der Wandel im System, der Wandel auf dem Platz zu sehen. Eine echte Mannschaft, nicht nur ein großer Name. Dank Scaloni. Kaum registriert in Europa, gelang bereits der Titel im Endspiel gegen Brasilien.

Architekt des argentinischen Erfolgs: Trainer Lionel Scaloni.

Architekt des argentinischen Erfolgs: Trainer Lionel Scaloni.

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Alles wie im Rausch

In der Folge schienen die Argentinierinnen und Argentinier mit Lionel Messi im Reinen. Die Erwartungen blieben riesig, klar. Aber die Dankbarkeit ist um ein Vielfaches größer: Das Team zaubert nicht nur, es rackert, wirft sich in jeden Ball – auch der Superstar. Nicht einmal die Auftaktniederlage bei dieser von vielen Abgründen und Absurditäten geprägten WM im Emirat konnte das feste Band noch in Unruhe bringen. Ganz im Gegenteil. Mit jedem weiteren Spiel wurde es noch fester.

Nun ist tatsächlich alles gut geworden. 36 Jahre nachdem mich die Albiceleste erstmals in den Bann zog, stand ich am Sonntag mit Kollegen im Newsroom der LVZ, verfolgte das vielleicht beste WM-Finale aller Zeiten auf einem Bildschirm (Flatscreen, Marke keine Ahnung) und starb dabei innerlich tausend Tode. Eigentlich wie immer, nur schlimmer. Am Ende dann alles wie im Rausch. ¡Gracias Argentina! Drei Sterne. Jetzt brauch ich endlich ein neues Trikot – das alte spannt ja auch schon länger kräftig überm Bauch.

LVZ

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