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Athleten fordern Umdenken

Kürzungen im Leistungssport: „Wird Francesco Friedrich jetzt am Schnellfahren gehindert?“

Francesco Friedrich (o.l.), Axel Kromer (o.r.), Martin Schulz (u.l.) und Franziska Brauße machen sich für mehr statt weniger Geld für die Leistungssport-Institute stark.

Francesco Friedrich (o.l.), Axel Kromer (o.r.), Martin Schulz (u.l.) und Franziska Brauße machen sich für mehr statt weniger Geld für die Leistungssport-Institute stark.

Berlin. „Bausteine für Olympiasiege“ steht am Eingang der Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte in Berlin. 1963 wurde das Institut in Berlin gegründet, schon ein Jahr später gab es in Innsbruck auf einem vom FES gebauten Rennschlitten die erste Olympiamedaille. Politiker wie Wolfgang Schäuble sorgten nach der Wende dafür, dass die Hauptstädter gemeinsam mit dem Leipziger Schwester-Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in den Einigungsvertrag aufgenommen wurden. Seither sind viele WM-Titel und Olympiasiege dank der wissenschaftlichen Begleitung hinzugekommen. Zugleich wird aber auch deutlich, wie stark der internationale Sport aufgerüstet hat.

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Nun schlagen beide Institute Alarm – und mit ihnen Spitzensportler wie Bob-Olympiasieger Francesco Friedrich. Denn die fast 20-prozentige Kürzung für IAT und FES laut Entwurf des Bundeshaushaltes 2024 würde die wissenschaftliche Begleitung der Top-Athleten kurz vor den Olympischen Spielen in Paris an vielen Stellen gefährden. Unter der Fragestellung „Was droht dem deutschen Spitzensport, wenn die Mittelkürzungen nicht zurückgenommen werden?“ hatten beide Institute am Montag nach Berlin eingeladen.

Falsches Signal für Olympische Spiele in Deutschland

Martin Engelhardt, Trägervereins-Chef beider Institute, sagte gleich zu Beginn: „Dieser Entwurf sendet das Signal aus, dass der Sport gesellschaftlich nicht so wichtig ist und dass wir eine Olympiabewerbung nicht ernsthaft in Bewegung ziehen.“ Über letzteren Punkt habe er kürzlich persönlich mit IOC-Präsident Thomas Bach gesprochen. „Er sieht das genauso. Das IOC wird Olympische Spiele an kein Land vergeben, dass es mit der Förderung des Sports nicht ernst meint.“ Auch an die Bevölkerung gehe ein falsches Signal raus: „Falsche Ernährung und Bewegungsmangel kosten uns jedes Jahr Milliarden, wir stellen immer mehr motorische Defizite bei den Zehnjährigen fest. Der Sport bringt nicht nur schöne Medaillen, sondern erhöht Lebensqualität und ist systemrelevant.“

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Engelhardt bemüht gern den Blick nach Skandinavien oder Australien, wo der Sport einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft einnimmt. „In Norwegen gibt es Programme für den Schwimmhallenbau, bei uns wird in einigen Bundesländern über die Abschaffung des Schulschwimmens diskutiert.“ Sogar Großbritannien habe unter Premier Tony Blair den Sport massiv gefördert, die Nachfolge-Regierungen hätten dies beibehalten. Deutschland solle endlich auch mal stolz sein auf diese beiden Sportinstitute und beide ausbauen, statt Mittel zu kürzen.

Bob-Bundestrainer: „Wir leben alle nicht im Paradies“

FES-Chef Michael Nitsch argumentierte: „Die Kombination aus angewandter Trainingswissenschaft und technischer Ausstattung sowie das bei uns angehäufte Wissen ist weltweit einmalig. Die Kollegen aus aller Welt fragen schon, was denn los ist in Deutschland? Wird Francesco Friedrich jetzt am Schnellfahren gehindert?“

Der zweifache Paralympicssieger im Triathlon Martin Schulz vom SC DHfK Leipzig meint: „Ich habe selbst in den vergangenen Jahren davon profitiert, dass dem IAT und FES mehr Mittel für den paralympischen Sport zur Verfügung standen. Da hatte man das Gefühl, dass endlich eine Gleichsetzung stattgefunden hat. Nun soll wieder bei uns zuerst gespart werden.“ Der Leistungssport sei nach Meinung des 33-Jährigen zwar ein Stückweit Luxus, „aber wir Spitzensportler sind nun mal Vorbilder in einer Zeit, in der sich die Deutschen immer weniger bewegen“.

 IAT-Direktor Marc-Oliver Löw und FES-Direktor Michael Nitsch (r.) bei der Pressekonferenz zur Zukunft ihrer Institute.

IAT-Direktor Marc-Oliver Löw und FES-Direktor Michael Nitsch (r.) bei der Pressekonferenz zur Zukunft ihrer Institute.

FES-Chef Michael Nitsch und IAT-Direktor Marc-Oliver Löw warnen, dass nach wie vor insgesamt an beiden Häusern bis zu 50 Stellen von Experten gefährdet seien: „Wir könnten die Boote für Olympia in Paris oder die Bobs für Cortina vielleicht nicht herstellen und anpassen. Das wäre für ein Land wie Deutschland peinlich.“ Francesco Friedrich stellte klar: „Ohne die Technik hätte ich 2018 am Ende nicht drei Hundertstel gutmachen und Olympiagold holen können.“ Sein Bundestrainer René Spies erinnerte daran: „Die Ingenieure des FES werden schlechter bezahlt als internationale Experten. Ebenso geht es uns Trainern, die alle mit Herzblut dabei sind. Wir alle leben nicht im Paradies. Keine Erhöhung bedeutet ja bei der Inflationsrate eine Herabstufung.“

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Mediziner Engelhardt sagt: „Der Sport muss heute auch selbstkritisch sein: Wir hätten seit Jahren unsere Bedeutung mehr rausstellen müssen und viel mehr von der Politik einfordern müssen. Die Langzeitkonsequenzen des Bewegungsmangels sehe ich jeden Tag auf dem OP-Tisch.“ Deutschland brauche jetzt mal 10, 20 Jahre, damit sich Sport und Politik neue Ziele setzen und verwirklichen.

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Radsport-Olympiasiegerin Franziska Brauße erinnerte daran: „Es geht um Tausendstelsekunden, die Räder und Sitzpositionen sind exakt an uns angepasst, die Lenker für uns persönlich entwickelt. Und die Trainingsauswertung am IAT bringt uns dorthin, wo wir jetzt sind.“ Radsprint-Olympiasiegerin Emma Hinze erzählte: „Technik zählt schon in der Jugend sehr viel. Meine Eltern hätten es sich nicht leisten können, mir ein passendes Rad zu kaufen. In den Bereich müsste man viel mehr Geld stecken, statt zu sparen. Ich wünsche mir von der Regierung ein klares Bekenntnis zum Leistungssport.“

Dies sieht auch Axel Kromer vom Deutschen Handball-Bund so und verweist auf Top-Nationen: „Wenn Deutschland gegen Frankreich spielt, sitzen bei den Franzosen zwölf Analysten am Spielfeldrand. Wir haben beim IAT eineinhalb Personen für Beach- und Hallenhandball zusammen.“ Der Montag in Berlin zeigt: Der Sport hat lange geschwiegen, doch er verschafft sich in der aktuellen Haushaltsdebatte ordentlich Gehör.

LVZ

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