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EVG zieht positive Bilanz

Zugverkehr läuft nach Ende des Bahnstreiks wieder an – doch neue Streiks sind möglich

Ein Fahrgast steht auf einem Bahnsteig des Frankfurter Hauptbahnhofes.

Ein Fahrgast steht auf einem Bahnsteig des Frankfurter Hauptbahnhofes.

Berlin. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat den bundesweiten Warnstreik im Fern- und Regionalverkehr am Freitagvormittag für beendet erklärt und ein positives Fazit gezogen. „In allen 50 Unternehmen haben wir massive Auswirkungen gehabt“, sagte Tarifvorständin Cosima Ingenschay. „Auf der Schiene und auch bei den Busbetrieben ist quasi nichts mehr gefahren.“

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Die Beteiligung habe in etwa auf dem Niveau des ersten groß angelegten Warnstreiks der EVG und Verdi von Ende März gelegen. „Die Wut und Enttäuschung ist sehr groß, dass immer noch keine verhandlungsfähigen Angebote vorliegen“, sagte Ingenschay.

Cosima Ingenschay, stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), spricht am Berliner Hauptbahnhof (Archivbild).

Cosima Ingenschay, stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), spricht am Berliner Hauptbahnhof (Archivbild).

Am Freitagvormittag war der Berliner Ostbahnhof wie leer gefegt. Eine gestrandete Reisegruppe sortierte sich vor dem Haupteingang, ein einsamer Servicemitarbeiter saß am Schalter in der Bahnhofshalle. Vom Hintereingang des Bahnhofes waren Trillerpfeifen zu hören. Knapp 100 DB-Beschäftigte in orangefarbenen EVG-Westen standen um einen Pavillon versammelt. Um 9 Uhr trat EVG-Verhandlungsführerin Ingenschay vor die Menge. „Wir erinnern uns alle noch an das vorletzte Jahr, als wir während Corona mit Lohnverzicht gearbeitet haben, damit unsere Unternehmen Bundeshilfen bekommen“, sagte sie.

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EVG-Tarifvorständin Ingenschay: „Jetzt sind wir wieder dran, etwas zu kriegen“

Seit dem Start der Verhandlungen im vorigen Jahr sei klar: „Jetzt sind wir wieder dran, etwas zu kriegen.“ Ingenschay erntete Jubel, Tröten und tosenden Applaus. Sie erinnerte an die zunehmende Inflation und die Krisen der vergangenen Jahre. „Der wichtigste Punkt in den Verhandlungen ist deswegen natürlich mehr Geld“, sagte sie. „Jawoll“, rief ein Mitarbeiter dazwischen. Es gehe um Tarife für 50 Unternehmen. „Wir dürfen den Wettbewerb auf der Schiene nicht auf dem Rücken der Beschäftigten aushandeln“, betonte sie. Deswegen gelte es, überall die gleichen zentralen Forderungen durchzusetzen.

Zwei langwierige Verhandlungsrunden würden nun schon hinter dem Tarifkomitee liegen. „Doch was machen unsere Arbeitgeber? Die schreiben uns am vergangenen Wochenende einen Brief und bitten uns, nächste Woche auf Basis des Schlichterspruchs im öffentlichen Dienst eine Einigung zu treffen“, sagte Ingenschay. „Die Schweine!“, brüllte einer der Streikenden. „Deswegen sind wir im Warnstreik heute, denn das entspricht nicht unseren Forderungen“, betonte Ingenschay. Die Streiks würden auch nach einem Schlichterspruch weitergehen, solange kein zufriedenstellendes Angebot von der DB vorliege. „In den Gehaltstabellen der DB stehen noch Stundenlöhne weit unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns, das ist inakzeptabel, besonders bei einem Unternehmen dieser Größe“, sagte sie.

Ein Sicherheitsmann sprach kürzlich DB-Sprecher Stauß an – und erntete betretenes Schweigen

Unter den Streikenden war auch ein Mann, der als Sicherheitskraft für die DB Sicherheit in Berlin arbeitet. Er berichtete dem RedaktionsNetzwerk Deutschland von alarmierenden Zuständen: „Neulich bin ich für eine Patrouille in der Friedrichstraße eingesprungen – da konnten wir eine Spätschicht gerade mal mit fünf Leuten besetzen, geplant waren 15.“ In den Zügen und auf den Strecken sei die DB Sicherheit komplett auf Subunternehmen angewiesen, die aber oft auch nicht verfügbar seien. „Dann kann höchstens noch die Bundespolizei anrücken, meistens erst, wenn schon etwas passiert ist.“

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Am laufenden Band würden Kolleginnen und Kollegen von ihm „wegen der schlechten Bezahlung“ kündigen. Im Monat verdiene er knapp 2200 Euro brutto, erst seit vorigen Oktober zahle ihm die DB Mindestlohn. Zulagen für Sonntagsdienste seien gestrichen worden.

Der Mann war nach eigenen Angaben auch im Einsatz, als DB-Konzernsprecher Achim Stauß beim großen Streik vor knapp einem Monat am Berliner Hauptbahnhof vor die Presse trat. „Da habe ich ihn angesprochen und ihm von den Problemen berichtet. Er hat nur gemurmelt, er wisse von dem Thema, dann hat er nur noch auf den Boden gestarrt“, berichtet der Mann.

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Auch Daniel Wucherpfennig, Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Bezirk Berlin-Brandenburg, wendete sich an die Beschäftigten. Wucherpfennig ging auf die anstehenden Verhandlungen der Tarifgemeinschaft der Länder mit der Bundestarifkommission am Sonntag ein. Dabei könnte es zu einer Einigung zur geforderten Tariferhöhung im öffentlichen Dienst kommen. Wucherpfennig stimme das „nicht mutig“ in Hinblick auf weitere Bahnstreiks, um die Forderungen der Bahnbeschäftigten durchzusetzen. Doch Tarifkämpfe von solchem Umfang seien in der Vergangenheit durchaus schon geglückt – er verwies auf einen Verdi-gesteuerten Busfahrerstreik kurz vor der Corona-Pandemie.

Zur aktuellen Entwicklung bei den Bahnstreiks sagte Wucherpfennig dem RND: „Wenn sich die Tarifgemeinschaft der Länder und die Bundestarifkommission auf das Angebot des Schlichterspruches einigen, ist das für den Arbeitskampf im Bahnsektor eher negativ.“ Die EVG würde dann nur noch wenig Spielraum haben und der öffentliche Rückhalt für die Bahnstreiks würde allmählich verschwinden.

Cosima Ingenschay zeigte sich von den anstehenden Verhandlungen im öffentlichen Dienst unbeeindruckt: „Die EVG führt eigenständige Tarifverhandlungen, wir haben mit Verdi keine Forderungen gemeinsam“, sagte sie dem RND. „Die tarifliche Lösung muss für uns eine andere sein, als im öffentlichen Dienst“, forderte sie. „Wir haben einen anderen Startpunkt, unsere Beschäftigten haben in der Vergangenheit sogar auf Lohn verzichtet, wir haben eine völlig andere Tariflandschaft und stehen vor bahnspezifischen Herausforderungen“, sagte sie.

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Bahnverkehr rollte in vielen Regionen nach Streikende schnell wieder an

Die Bahnunternehmen hatten angekündigt, dass nach dem Ende des Warnstreiks am Freitag um 11 Uhr insbesondere der S‑Bahn- und Regionalverkehr vergleichsweise schnell wieder anlaufen werde. Im Fernverkehr wollte die Deutsche Bahn ab 13 Uhr den Betrieb wieder aufnehmen. Mit deutlichen Auswirkungen sei indes noch bis in die Abendstunden zu rechnen, sagte ein Bahnsprecher am Morgen.

In Leipzig sei der Zugverkehr am Freitagmittag mit einigen Ausnahmen und Verzögerungen langsam wieder angelaufen, berichtet die „Leipziger Volkszeitung“. „Wir sind sehr zufrieden, wie es läuft“, sagte der Leipziger EVG-Geschäftsstellenleiter Mathias Präg der Zeitung. Der leere Bahnhof der sächsischen Großstadt sei „ein klares Zeichen in Richtung Arbeitgeber“ gewesen.

Der Innenbereich des Leipziger Hauptbahnhofs.

Der Innenbereich des Leipziger Hauptbahnhofs.

Auch in Berlin und Brandenburg normalisierte sich die Lage nach Beendigung des EVG-Streiks. In der Hauptstadt seien die ersten S‑Bahnen speziell in den Randbezirken sogar bereits vor dem angekündigten Ende um 11 Uhr wieder über die Schienen gerollt, berichtet die „Märkische Allgemeine Zeitung“. Mit dem Streikende ab 11 Uhr liege der Fokus darauf, „einen stabilen Anlauf im S‑Bahn-Verkehr zu gewährleisten“, sagte eine Sprecherin der Berliner S‑Bahn.

Besondere Schwierigkeiten gab es für Menschen, die zum Flughafen BER reisen wollten. Die Fluggäste mussten auf Busse ausweichen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) beteiligten sich nicht am Arbeitskampf: Busse, Bahnen und Fähren der BVG seien am Freitag wie gewohnt unterwegs, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Gleiches galt für die Potsdamer Verkehrsbetriebe. Auch die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg) wurde eigentlich nicht bestreikt – doch ist sie auf die Infrastruktur der Deutschen Bahn angewiesen und war damit vom Streik betroffen. Deswegen würden am Freitag alle 15 Linien der Odeg nicht fahren, teilte das Unternehmen mit.

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Am Morgen des Streiktags der EVG war der Berliner Hauptbahnhof menschenleer.

Am Morgen des Streiktags der EVG war der Berliner Hauptbahnhof menschenleer.

In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover seien insbesondere die Besucherinnen und Besucher der Hannover-Messe vom Ausstand im Bahnverkehr betroffen, schreibt die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“. Der Freitag ist der letzte Tag der Schau, auf dem Gelände findet zudem der Womenpower-Fachkongress statt. Für Gäste, die mit dem Flugzeug anreisten, wurde ein Shuttle vom Flughafen eingerichtet.

Im Norden Deutschlands fuhren die ersten Züge nach Streikende wieder. Wie die „Lübecker Nachrichten“, berichten, wurde der Zugverkehr zwischen Lübeck und Hamburg sowie von Lübeck nach Travemünde alsbald aufgenommen. Laut „Ostsee-Zeitung“ füllten sich gegen 13 Uhr wieder die Bahnsteige am Rostocker Hauptbahnhof. Die Züge sollten planmäßig wieder auf die Schienen gehen.

Neue Tarifverhandlungen mit der Bahn am Dienstag – danach könnte es wieder Streiks geben

Die Tarifverhandlungen im Bahnsektor sollen am kommenden Dienstag bei der Deutschen Bahn in Fulda weitergehen. Die EVG hält einen erneuten Warnstreik bei der Bahn für möglich, sollten die weiteren Verhandlungen keine Fortschritte bringen. Voraussetzung für den nächsten Verhandlungstermin mit der Deutschen Bahn sei, dass der Arbeitgeber ein verhandlungsfähiges Angebot vorlege, sagte EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch am Freitag. Ansonsten werde sich die Eskalation fortsetzen. „Dann wird es eine weitere Warnstreikwelle geben“, sagte Loroch. Das Angebot der DB müsse schriftlich vorgelegt werden, das sei ein Gebot der Fairness.

Einen genaueren Zeitrahmen für mögliche weitere Warnstreiks nannte die EVG zunächst nicht. „Wir haben da viele Optionen“, sagte EVG-Tarifvorständin Cosima Ingenschay. Sollten die Verhandlungen gleich bei mehreren Unternehmen nicht vorankommen, müsse womöglich schneller reagiert werden. „Wir werden keinen Abschluss machen, der schlecht ist, nur um ihn schnell zu machen“, sagte Loroch.

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Keine Einigung im Tarifkonflikt: Was fordern Verdi und Co?

In Potsdam werden am Samstag die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen fortgesetzt.

Die EVG verhandelt seit Ende Februar parallel mit 50 Bahnunternehmen neue Tarifverträge. Betroffen sind rund 230.000 Beschäftigte, 180.000 davon arbeiten bei der Deutschen Bahn. Verhandlungen mit anderen Unternehmen sollen in den Tagen nach den Gesprächen mit der Bahn folgen. Die beiden bisherigen Verhandlungstermine mit der DB endeten jeweils nach kurzer Zeit und ohne konkrete Ergebnisse.

Mit dpa-Material

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