Börsenaufschwung: Sind die Anleger verrückt geworden?
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Niemand will einen Aufwärtstrend verpassen: Aktienhändler an der Frankfurter Börse.
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Die Weltwirtschaft ächzt unter der Corona-Krise: Ob in Deutschland, dem europäischen Ausland, in den USA oder in Asien. Seit Monaten rechnen Wirtschaftswissenschaftler mit einer einbrechenden Konjunktur. Die Arbeitslosenzahlen steigen, der Konsum schrumpft, ein Unternehmen nach dem anderen kappt die Gewinnprognose. Und dennoch: Der deutsche Leitindex steigt und steigt. Seit dem Corona-Crashtief von Mitte März hat der Dax ganze 37 Prozent zugelegt. Wer zur richtigen Zeit eingestiegen ist, konnte aus 100.000 Euro also 137.000 Euro machen. Aber wer steigt schon zur richtigen Zeit ein?
Dass niemand den Aufwärtstrend verpassen will, ist aber ein Grund für die gerade stattfindende Kursrallye an den Börsen. Schnäppchenjäger warten immer auf den perfekten Zeitpunkt, Geld zu investieren. Und Mitte März waren die Kurse so niedrig, dass viele das Risiko eingegangen sind. Was dann passierte, war eine Aufwärtsspirale: Mit jedem Tag, den der Dax im Plus beendete, wurden die Anleger sicherer, dass der Zeitpunkt richtig ist und dass derjenige etwas verpassen könnte, der jetzt nicht einsteigt. Börse ist Psychologie. Nur: Genauso schnell, wie es aufwärts geht, können die Kurse auch wieder fallen.
Konjunkturprogramme sind auf dem Weg
Bleiben wir beim Optimismus: Deutschland feilt gerade an einem milliardenschweren Konjukturprogramm – nächste Woche soll es stehen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will 750 Milliarden Euro mobilisieren, um die EU-Staaten aus der Krise zu führen. Und auch die europäische Zentralbank hat angekündigt, ihre Anleihenkäufe weiter hochzufahren und so noch mehr Geld in die europäische Wirtschaft zu pumpen.
Für Anleger an der Börse sind das gute Nachrichten: Denn sie signalisieren, dass die Verantwortlichen nicht nur reden, sondern auch handeln. Außerdem können die Unternehmen damit rechnen, dass die Nachfrage bald wieder steigt, sei es aus dem privaten Konsum, etwa weil Familien mehr Unterstützung bekommen – sei es durch öffentliche Aufträge oder spezielle Programme für Digitalisierung oder Klimaschutz.
“Die Erwartung, dass die Staaten und Notenbanken den Wirtschaften ausreichend mit billigen Geld und Liquiditätsspritzen unter die Arme greifen, lässt die Sorgen in den Hintergrund rücken", kommentierte Timo Enden vom Analysehaus Emden Research.
Im Moment regiert die Hoffnung
Außerdem: Der Börsensturz Mitte März war extrem. In nur 28 Tagen hatte der Dax 40 Prozent seines Werts eingebüßt. Das war der schnellste Absturz, den es in Deutschland jemals gab. Das bedeutet: Viel von den Sorgen und Ängsten, die die Corona-Pandemie mit sich bringt, sind am Aktienmarkt bereits eingepreist, wie es im Börsenjargon heißt.
Weitergehend gilt: An der Börse wird die Zukunft gehandelt. Wichtig ist den Anlegern nicht so sehr, wie hoch die Verluste derzeit sind, sondern die Aussicht auf Erholung. Gerade mit Blick auf die bundesweiten Lockerungen und einen möglichen Impfstoff im nächsten Jahr regiert im Moment mehr Hoffnung als Angst.
Befeuert wurde das davon, dass etwa das Ifo-Institut von seinen düstersten Konjunkturprognosen abgerückt ist. Stattdessen sagen die Wirtschaftsforscher für das kommende Jahr 10,2 Prozent Wirtschaftswachstum vorher. Die Krise mit 6,6 Prozent Rückgang des Bruttosozialprodukt in diesem Jahr wäre demnach Ende 2021 mehr als kompensiert.
Tech-Unternehmen profitieren
Allerdings verläuft die Erholung am Aktienmarkt je nach Branche sehr unterschiedlich. Profitieren konnten in Deutschland vor allem Tech-Unternehmen wie Bechtle, Hello Fresh und Zalando. Schlechter lief es – trotz kürzlichem Aufschwung – für die deutschen Automobilunternehmen Daimler, VW und BMW. Die größten Verlierer aber sind Unternehmen, die mit dem grenzüberschreitenden Reisen zu tun haben, Tui und Lufthansa etwa.
Stellt sich nur die Frage: Hält der Aufschwung an den deutschen Börsen an? Zumindest sollten Anleger vorsichtig bleiben. Denn es gibt durchaus Anzeichen für eine Blase. “Mit leicht einsetzenden Gewinnmitnahmen machen sich die ersten Überhitzungserscheinungen bereits bemerkbar”, sagt Timo Emden von Emden Research. Spätestens mit einer zweiten Corona-Welle könnte deshalb ein zweiter Börsencrash kommen. Sicher aber ist an der Börse gar nichts.
RND