Chinesisches „Lehman Brothers“? Internationaler Finanzmarkt blickt nervös auf Krise bei Immobilienentwickler Evergrande
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Das Schild des China Evergrande Centre an der Fassade des Gebäudes in Hongkong. Die Befürchtung, dass der chinesische Immobilienkonzern Evergrande seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann, hat die Anleger über die möglichen Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft beunruhigt. Diese Befürchtungen zogen die Aktien in Hongkong auf ein Jahrestief.
© Quelle: Katherine Cheng/SOPA Images via
Peking. Weltweit schauen Investoren nervös auf die Entwicklung des größten chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande. Die milliardenschweren Schulden des Konzerns, der gegen die Pleite kämpft, befeuern Ängste, dass der Fall Schockwellen in das Finanzsystem entsenden könnte. Ökonomen erwarten, dass die Regierung in Peking eingreift, sollten sich Evergrande und dessen Geldgeber nicht auf einen Umgang mit den Schulden einigen. Es wird aber erwartet, dass jede offizielle Lösung des Falls mit Verlusten für Banken und Inhaber von Obligationen einhergeht.
Was ist Evergrande?
Die 1996 gegründete Evergrande Group ist einer der größten Erbauer von Apartments, Bürotürmen und Einkaufszentren in China, außerdem eines der größten Konglomerate des Privatsektors in der Volksrepublik. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben mehr als 200.000 Angestellte und unterstützt 3,8 Millionen Jobs im Bau und anderen Bereichen. Nach Angaben Evergrandes hat das Unternehmen 1.300 Projekte in 280 Städten und Aktivposten im Wert von etwa 350 Milliarden US-Dollar (rund 299 Milliarden Euro).
Gründer Xu Jiayin war Chinas reichster Unternehmer 2017. Mit dem Internetboom rutschte er in der Liste nach hinten, war im vergangenen Jahr aber immer noch als der reichste chinesische Immobilienentwickler gelistet. Evergrande hat außerdem Geschäftszweige etwa in den Bereichen Elektromobilität, Themenpark-Entwicklung, Gesundheitskliniken und Mineralwasser eröffnet.
Was sind die Auswirkungen bis jetzt?
Die an der Hongkonger Börse gehandelten Aktien sind seit Beginn des Jahres um 85 Prozent im Kurs gefallen. Die Anleihen des Unternehmens bewegen sich auf einem ähnlichen Niveau. Xu hat Evergrande vor allem mit geliehenem Geld aufgebaut. Zum 30. Juni lag der Schuldenstand bei 310 Milliarden US-Dollar (rund 265 Milliarden Euro). Davon sollten 37,3 Milliarden Dollar (rund 32 Milliarden Euro) innerhalb eines Jahres fällig werden, was die liquiden Geldmittel des Unternehmens um fast das Dreifache übersteigt.
Zum Beginn des Jahres prognostizierte Evergrande ein jährliches Transaktionsvolumen von mehr als 310 Milliarden US-Dollar (rund 265 Milliarden Euro). Für den ersten Teil des Geschäftsjahres wurde mit einem Profit von 1,4 Milliarden Dollar (rund 1,2 Milliarden Dollar) gerechnet. Doch die Verkäufe gehen zurück, weil potenzielle Käufer von Berichten über den Liquiditätsengpass abgeschreckt werden.
Warum jetzt?
Die Regulierungsbehörden in China haben neue Beschränkungen für immobilienbezogene Leihgeschäfte erlassen, weil die Kommunistische Partei die Abhängigkeit von Schulden verringern will. Wirtschaftsexperten warnen seit mehr als einem Jahrzehnt vor dem wachsenden Schuldenberg in China. Seit 2018 macht die Kommunistische Partei die Reduzierung solcher finanzieller Risiken zur Priorität. Neue Berichte legen nahe, dass Evergrande überall Geld geliehen hat, wo es dies realisieren konnte.
Wie steht es um andere Immobilien-Entwickler?
Andere führende Entwickler wie Vanke Co. oder die staatlichen Poly Group und die Wanda Group haben nicht von ähnlichen Problemen berichtet. Aber Hunderte kleinerer Immobilienentwickler haben dicht gemacht, seit die Regulierungsbehörden 2017 begannen, die Methoden der Geldbeschaffung einzuschränken, wie etwa den Verkauf von Apartments vor dem Baubeginn. Die Immobiliensparte im Bereich des Wohnens in China wird jedoch als wenig riskant für das Finanzsystem erachtet, weil die meisten Wohnungen bar bezahlt und nicht über Kredite erworben werden.
Gibt es Risiken außerhalb Chinas?
Einige Kommentatoren legen nahe, Evergrande könne zu Chinas „Lehman-Moment“ werden, in Anlehnung an die Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers 2008. Aber Wirtschaftsexperten stufen das Risiko weitreichender Folgen für den Finanzmarkt eher als gering ein. Anders als Lehman Brothers hat Evergrande keine preislich volatilen Finanzinstrumente, sondern Land und teilvollendete Projekte mit relativ stabilen Preisen. Wirtschaftsexperten sind zudem der Ansicht, dass Chinas Bankensystem auch den Fall einer möglichen Zahlungsunfähigkeit absorbieren könnte.
Was kommt als nächstes?
Investoren blicken mit Interesse darauf, was die chinesischen Regulierungsbehörden tun könnten, doch Analysten gehen davon aus, dass sie weiter auf den Schutz von Eigenheimkäufern fokussiert bleiben könnten sowie auf die Fertigstellung von Wohnungen die bereits bezahlt worden sind. Die Regierung hat andere insolvente chinesische Firmen bereits finanziell unterstützt, aber Ökonomen sagen, Peking erscheine entschlossen, dies im Fall von Evergrande nicht zu tun. In einem Brief an die Angestellten am Dienstag äußerte sich Firmengründer Xu indes zuversichtlich, dass das Unternehmen überleben werde.
RND/AP