Chinas Lockdownpolitik wird zum echten Wirtschaftsrisiko
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Sicherheitskräfte und Mitarbeiter des Gesundheitswesens tragen Schutzkleidung und bereiten sich auf Coronavirus-Massentests in einem abgeriegelten Gebiet in Chinas Hauptstadt vor. Vor dem Maifeiertag hat Peking die Coronavirus-Beschränkungen verschärft, um einen größeren Ausbruch zu verhindern.
© Quelle: Andy Wong/AP/dpa
Peking. Oh, wie sich das Blatt doch gewendet hat! Ich erinnere mich noch gut, wie wir hier im rappelvollen Irish Pub saßen und entgeistert auf die Public-Viewing-Leinwand starrten: Während in Peking wieder feuchtfröhlich gefeiert wurde, liefen die Bundesliga-Stars in deprimierend menschenleere Stadien ein.
Nun ist es genau umgekehrt: In der Münchner Allianz-Arena feiern 75.000 Zuschauer den Meistertitel, während vor meiner Nachbarschaftskneipe längst ein schwarzes Stahlschloss hängt. Just als die Welt sich öffnet, hamstern wir in China Dosentomaten, Reissäcke und Speiseöl.
Denn längst droht sich in der Hauptstadt zu wiederholen, was in Shanghai seit einem Monat der Normalzustand ist: Die meisten der 26 Millionen Einwohner sind in ihre Wohnungen eingesperrt. Um einen flächendeckenden Lockdown in Peking zu verhindern, dackeln wir jetzt täglich zum PCR-Test und stellen uns auf „düstere“ Zeiten ein.
Corona-Sperrzonen in China: Peking testet, Shanghai öffnet
In der Hauptstadt Peking wollen die Behörden einen Corona-Ausbruch unbedingt eindämmen. In Shanghai durften Bewohner zum ersten Mal seit Wochen wieder raus.
© Quelle: Reuters
Wirtschaft leidet stark
Denn an ein „Leben mit dem Virus“ verschwendet die Staatsführung derzeit keinen Gedanken. Als einzige große Volkswirtschaft der Welt hält China weiterhin an „Null Covid“ fest. Ökonomisch sorgt dies für einen massiven Einbruch, manche Experten sprechen bereits von einem „freien Fall“: Der Konsum ist im Eimer, die Industrieproduktion geht ebenfalls stark zurück.
Kein Wunder: In den Lockdowngebieten müssen die Fabrikarbeiter und ‑arbeiterinnen oft wochenlang auf dem Firmengelände leben, und selbst hochrangige Vorstandschefs können seit Monaten keine Geschäftspartner mehr in anderen Provinzen persönlich treffen. Manchmal wird die Corona-Panik auch regelrecht absurd: Wer dieser Tage ein Paket aus Übersee bestellt, erhält erst Wochen später seine Lieferung – verspätet durch Quarantäne und durchnässt vom Desinfektionsspray der Zollmitarbeiter.
Dabei war „Null Covid“ einst sehr erfolgreich – und zwar auch aus ökonomischen Gesichtspunkten. Die Nulltoleranzstrategie hatte nämlich 2020 dafür gesorgt, dass Chinas Wirtschaft als erste weltweit wieder ohne Handbremse hochfahren konnte – ganz ohne Abstandsregeln und Krankenstände.
Doch wie schon damals viele Experten anmahnten, ist die Pandemie ein Marathonlauf und kein 100-Meter-Sprint. Angesichts der hochinfektiösen Omikron-Variante und der Verfügbarkeit von Impfstoffen wurden die Karten noch mal neu gemischt. Während sich die Welt wieder öffnet, bleibt China isoliert zurück. Was einst ein Segen für die Wirtschaft war, ist mittlerweile zum Fluch geworden.
Fabian Kretschmer ist Peking-Korrespondent des RND. Wie die Chinesen und Chinesinnen das 21. Jahrhundert erobern wollen, erklärt er an dieser Stelle mittwochs – im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen in Washington, London, Brüssel sowie für Russland und Osteuropa.