Credit Suisse: die dicke Skandalakte des gefallenen Schweizer Bankenriesen
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Die Credit Suisse im Hochhaus Hagenholzstraße in Zürich-Oerlikon.
© Quelle: IMAGO/Andreas Haas
Für lange Zeit war die zweitgrößte Schweizer Bank einst Synonym für Stabilität und Sicherheit – heute steht die Credit Suisse jedoch für ein nationales Trauma. Und das hat auch viel mit einer Vertrauenskrise zu tun, die den Finanzplatz Schweiz, einen der bedeutendsten der Welt, nachhaltig zu beschädigen droht.
Fachleute fragen sich heute, wann der eigentliche Niedergang des 1856 von Alfred Escher als Schweizerische Kreditanstalt (SKA, der Name existierte bis 1997) gegründeten Bankhauses begann. Die Liste der Skandale, mit denen die Schweizer Großbank in den vergangenen Jahren zu kämpfen hatte, liest sich wie ein Krimi. Eine Chronik der größten Affären.
- 1977 – Chiasso-Affäre: 15 Jahre lang waren Kundengelder – vor allem Steuerfluchtgelder aus Italien – in Höhe von 2,2 Milliarden Franken in eine Liechtensteiner Briefkastenfirma geschleust worden. Dem Schweizer Finanzinstitut entstand dadurch ein Schaden in Höhe von 1,2 Milliarden Franken. Darüber hinaus festigte die Affäre international den schlechten Ruf der Schweiz als Hort für Geldwäscher und Steuerbetrüger.
- 2006 – der Fall Siemens: Scheinrechnungen, vorgeschobene Beraterverträge, schwarze Kassen und letztlich Bestechungszahlungen für Aufträge aus dem staatlichen und staatsnahen Bereich – das ist der Stoff, aus dem der Siemens-Skandal gestrickt war. Der frühere Siemens-Manager Eduard Seidel hatte zeitweise sechs Schweizer Konten, auf einem davon war laut Recherchen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR, WDR und internationalen Medien im Jahr 2006 als Höchststand ein Vermögen im Wert von mehr als 54 Millionen Schweizer Franken registriert. Eine Summe, die mit Siemens-Verdiensten nicht zu erklären war. Seidel, der den Spitznamen „König von Nigeria“ trug, hatte sich einst der Münchner Staatsanwaltschaft gestellt und eingeräumt, nigerianische Amtsträger in 22 Fällen bestochen zu haben.
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Rudolf Elmer, ehemaliger Bankmanager und Whistleblower, aufgenommen am 3. April 2016 während der ARD-Talksendung „Anne Will“ zum Thema „Wenn das Geld in der Sonne liegt – wer trocknet die Steueroasen aus?“ in den Studios Berlin-Adlershof.
© Quelle: picture alliance / zb
- 2008 – „Nestbeschmutzer“ Rudolf Elmer: Der ehemalige Credit-Suisse-Banker Rudolf Elmer, seit 1994 für rund zwei Jahrzehnte in den Diensten der Züricher Privatbank Julius Bär, wurde 2022 entlassen, nachdem er offenbar die Bankführung in der Schweiz darüber informiert hatte, dass auf den Cayman Islands problematische Geschäfte liefen. Die Bank soll vermögenden Kunden bei der „Steueroptimierung“ dienlich gewesen sein – mittels komplexer Offshore-Konstruktionen. Die Whistleblower-Plattform Wikileaks veröffentlichte 2008 erstmals Kundendaten, die Rudolf Elmer während seiner Zeit bei Julius Bär zur Verfügung gestellt hatte. Damit hatte er nicht nur seinen früheren Arbeitgeber herausgefordert, sondern den gesamten eidgenössischen Geldsektor, der die Veröffentlichung von Kundendaten als eine Art Kriegserklärung gegen den Finanzplatz auffasste. Die Antwort: Repressalien. Erst versuchte man, Wikileaks abzudrehen (was nicht gelang), dann wurde Elmer strafrechtlich verfolgt. Elmer ging an die Öffentlichkeit, saß insgesamt mehr als 200 Tage in Schweizer Untersuchungshaft und musste sich wegen der Verletzung des Bank- und Geschäftsgeheimnisses (und anderer Delikte) in langwierigen Gerichtsverfahren verantworten – ehe er schließlich 2018 freigesprochen wurde.
- 2020 – der Beschattungsskandal: Im Februar 2020 setzte der Verwaltungsrat den amtierenden Bankchef Tidjane Thiam vor die Tür, zuvor war die Beschattung des ehemaligen Topmanagers Iqbal Khan aufgeflogen. Dieser war zur Konkurrenz von der UBS gewechselt. Die Bank wollte herausfinden, ob er Kunden mitgenommen hatte. Thiam erklärte, keine Kenntnisse von der Beschattung gehabt zu haben. Die Schweizer Finanzmarktaufsicht attestierte der Credit Suisse nach einer Untersuchung später schwere Mängel in der Organisation. Das Ausmaß der Affäre war demnach weitaus größer als zunächst angenommen. Zwischen 2016 und 2019 sollen insgesamt sieben Menschen beschattet worden sein, auch im Ausland. Ein Insider sagte, unter den Spitzenmanagern habe eine „Kultur der Angst und des Misstrauens“ geherrscht.
- März 2021 – der Greensill-Skandal: Im März 2021 fror die Bank überraschend zusammen mit der Investmentgesellschaft Greensill Capital aufgelegte Fonds im Volumen von 10 Milliarden Dollar ein. Berater der Credit Suisse hatten jahrelang Geld von Investoren eingeworben und es in dem als risikoarm geltenden Fonds angelegt. Sie warben damit, dass die dahinterstehenden Kredite voll versichert seien. Als Versicherungsfirmen ihren Schutz entzogen, musste die britisch-australische Greensill Capital Insolvenz anmelden. Die Credit Suisse hätte im Fall Greensill in schwerer Weise gegen aufsichtsrechtliche Pflichten verstoßen, urteilte die Finanzmarktaufsicht. Zahlreiche Investoren verklagten das Institut.
Covid-Regeln missachtet
- April 2021 – der Archegos-Skandal: Die Bank musste einen Verlust von 5 Milliarden Franken einräumen, weil der Kunde Archegos Capital Management des windigen Betreibers Bill Hwang den Wert seines Portfolios mit riskanten Finanzwetten von 1,5 Milliarden Dollar auf 35 Milliarden Dollar hochgetrieben hatte. Fast der gesamte Halbjahresgewinn der Credit Suisse wurde deshalb aufgefressen. Und wieder stellte ein externes Gutachten dem Institut ein vernichtendes Urteil aus: Die Credit Suisse sei länger und intensiver bei Archegos involviert gewesen als andere Geldgeber und mehrere Warnsignale seien ignoriert worden.
- Oktober 2021 – der Mosambik-Skandal: Britische und amerikanische Behörden verdonnerten die Credit Suisse im Oktober 2021 zu einer Strafe von fast einer halben Milliarde Dollar. Auslöser: ein Bestechungs- und Betrugsverfahren in Zusammenhang mit Krediten an Mosambik. Die Bank bekannte sich schuldig, Investoren wegen eines Darlehens in Höhe von 850 Millionen Dollar an das Land betrogen zu haben. Das Geld sei zur Finanzierung einer Thunfischfangflotte bestimmt gewesen.
- Januar 2022 – der Corona-Skandal: Nach nur acht Monaten im Amt erklärte Verwaltungsratschef António Horta-Osório wegen Verstößen gegen Quarantäneregeln im Januar 2022 seinen Rücktritt. Der Portugiese hatte selbst gegen Quarantänebestimmungen in der Schweiz verstoßen, indem er das Land zu früh verließ. Wenige Wochen später berichtete die Agentur Reuters, dass Horta-Osório im Juli bei einer Reise nach England zum Wimbledon-Endspiel britische Covid-Regeln missachtet hatte. Horta-Osório hatte zuvor stets betont, die Unternehmenskultur in der skandalgeplagten Bank reformieren zu wollen.
Stasi-Offiziere und Saddam-Hussein-Vertraute
- Februar 2022 – die Schurkendatei: Medienberichten zufolge soll die Credit Suisse über viele Jahre hinweg korrupte Politiker und Autokraten, mutmaßliche Kriegsverbrecher sowie Menschenhändler, Drogendealer und andere Kriminelle als Kunden akzeptiert haben. Die der „Süddeutschen Zeitung“ und anderen Medien zugespielten Unterlagen geben Aufschluss über mehr als 18.000 Konten mit einem Gesamtvermögen von über 100 Milliarden Dollar, hinter denen mehr als 30.000 Kundinnen und Kunden stehen sollen. Darunter sind Geheimdienstleute, vorwiegend aus dem arabischen Raum wie Kalaf al-Dulaimi, Finanzchef des irakischen Geheimdienstes zu Zeiten von Diktator Saddam Hussein. Oder der 2019 verstorbene ägyptische Geheimdienstler und Waffenhändler Hussein Salem. Oder der bereits 1988 verstorbene pakistanische General Akhtar Abdur Rahman. Der frühere venezolanische Geheimdienstchef Carlos Luis Aguilera Borjas, genannt „Der Unsichtbare“, war ab 2011 Kunde der Credit Suisse. Auch ein ehemaliger Offizier der ostdeutschen Stasi ist in den Daten zu finden. Die Credit Suisse wies die Vorwürfe zurück und erklärte, die Berichterstattung basiere auf unvollständigen, fehlerhaften oder selektiven Informationen. Rund 90 Prozent der geprüften Konten seien geschlossen oder im Begriff, geschlossen zu werden.
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Gilt als reichster Mensch in Georgiens: der Multimilliardär Bidsina Iwanischwili in seiner Villa in der georgischen Hauptstadt Tiflis.
© Quelle: picture alliance / dpa
- März 2022 – Betrug am georgischen Regierungschef: Im März 2022 brummte ein Gericht auf den Bermudas der Bank eine Schadensersatzzahlung von über 500 Millionen Dollar auf, weil ein ehemaliger Kundenberater von Bidsina Iwanischwili, ehemaliger Regierungschef Georgiens, über Jahre betrogen hatte. Iwanischwili, der von 2005 bis 2015 Kunde der Bank war, soll Hunderte von Millionen an Verlusten erlitten haben, weil der mit der Verwaltung seines Vermögens betraute Banker Transaktionen gefälscht haben soll. Der Berater war 2018 von einem Genfer Gericht wegen Betrugs, Fälschung und kriminellen Missmanagements zu fünf Jahren Haft und zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 130 Millionen Dollar verurteilt worden.
Bulgarischer „Kokainkönig“
- Juni 2022 – die bulgarische Koks-Connection: Im Juni 2022 sprach das Schweizer Bundesstrafgericht die Credit Suisse schuldig und verurteilte das Institut zu einer Buße von 2 Millionen Franken. Es ging um Geldwäsche eines mutmaßlichen bulgarischen Kokainhändlerrings in den Jahren 2004 bis 2008. „Das Unternehmen hätte den Verstoß verhindern können, wenn es seinen organisatorischen Pflichten nachgekommen wäre“, sagte der Vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung. Die frühere Kundenberaterin wurde zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten sowie zu einer Geldstrafe verurteilt. „Kokainkönig“ Evelin Banev ist der Kopf einer berüchtigten bulgarischen Drogenbande. Seit mehr als 15 Jahren versuchen die Behörden von verschiedenen europäischen Ländern, seiner habhaft zu werden. Seine Bande soll zwischen 2004 und 2007 nicht weniger als 55 Millionen Franken über die Credit Suisse gewaschen haben.
- Dezember 2022 – Irritationen um „Kundengeldabflüsse“: Verwaltungsratschef Axel Lehmann erklärte am 1. Dezember 2022 in einem Interview mit der „Financial Times“, nach starken Abflüssen im Oktober hätten sich diese „völlig abgeflacht und teilweise gedreht“. Danach waren aber nochmals Milliarden von dem krisengeplagten Institut abgezogen worden, wie aus der Quartalsbilanz hervorging. Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma wurde hellhörig, eine Verletzung des Finanzmarktrechts konnte aber nicht nachgewiesen werden.
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Axel Lehmann (links), Präsident der Credit Suisse, spricht neben Colm Kelleher, Präsident der UBS, während einer Pressekonferenz. Die schwer angeschlagene Schweizer Großbank Credit Suisse wird vom größeren Schweizer Rivalen UBS übernommen.
© Quelle: Peter Klaunzer/KEYSTONE/dpa
- Februar 2023 – Diebstahl von Daten: Im Februar 2023 musste die Credit Suisse ein weiteres Sicherheitsproblem einräumen. Vor einigen Jahren hatte ein ehemaliger Angestellter Mitarbeiterdaten gestohlen. Die entwendeten Daten sollen Informationen über Gehälter und Boni zwischen 2013 und 2015 sowie Bankkontoinformationen enthalten haben. Einer mit der Sache vertrauten Person zufolge handelt es sich um einen Ex-Angestellten, der in Indien stationiert war, wo die Bank viele Informatiker beschäftigt.
- März 2023 – der verschobene Geschäftsbericht: Dass da ein Tsunami auf die Credit Suisse zurollte, wurde deutlich, als Anfang März im letzten Moment die Veröffentlichung des Geschäftsberichts verschoben wurde, weil die US-Wertpapieraufsicht SEC noch Fragen zu früheren Abschlüssen hatte. Geschäftsberichte sind stets der Gesundheitscheck eines Unternehmens – Verschiebungen werden als Vorboten schlimmer Neuigkeiten gewertet. Die SEC sah Klärungsbedarf bei technischen Aspekten der Buchführung und damit zusammenhängenden Kontrollmechanismen. Fünf Tage später publizierte die Bank den Geschäftsbericht mit dem Hinweis, dass die interne Kontrolle der Finanzberichterstattung wesentliche Mängel aufweise. Die Katastrophe ließ sich nicht mehr verheimlichen.