Der wertvollste Dax-Konzern plant den Absprung
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Die Linde-Belegschaft sah die Praxair-Übernahme von Anfang an skeptisch.
© Quelle: dpa
Die deutsche Börse dürfte eins ihrer Aushängeschilder verlieren. Die Aktionäre des Linde-Konzerns sollen an diesem Mittwoch den Abschied aus Frankfurt beschließen. Die Aktie würde dann allein in New York notiert. Das wäre auch für den Dax ein schwerer Schlag: Mit einem Gesamtwert von rund 150 Milliarden Euro ist Linde vor SAP und Siemens das wertvollste Unternehmen im Deutschen Aktienindex.
Früher Wiesbaden, heute Dublin
Der Spezialist für Industriegase wurde 1879 in Wiesbaden gegründet, hat aber seit der Übernahme des US-Konkurrenten Praxair seine deutschen Wurzeln mehr und mehr gekappt. Der offizielle Firmensitz wurde ins irische Dublin verlegt, die operative Zentrale steht in Woking bei London, aber wichtige Entscheidungen fallen in der Praxair-Zentrale in der Nähe von New York. Dort findet auch die Hauptversammlung statt.
Konzernchef Sanjiv Lamba begründet seinen Plan mit der Vereinfachung durch nur eine Börsennotierung und mit größerem Kurspotenzial. Er braucht in der Hauptversammlung 75 Prozent Zustimmung, die als sehr wahrscheinlich, aber nicht völlig sicher gelten. Große deutsche Fonds haben sich gegen den Abschied aus Frankfurt ausgesprochen. Unter den Linde-Aktionären spielen sie aber nur eine Nebenrolle.
Das Ende der Börsennotierung ist der nächste große Schritt in einem jahrelangen Prozess. Er begann 2018, als der damalige Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle die Fusion mit Praxair ins Ziel brachte. Offiziell übernahm zwar Linde die Amerikaner, aber schon damals warnten Kritiker, dass es in der Praxis umgekehrt enden könnte.
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Wolfgang Reitzle, hier mit Ehefrau Nina Ruge, hat Linde durch die Fusion mit Praxair zum Weltmarktführer gemacht.
© Quelle: IMAGO/Future Image
Und so kam es: Linde hat zwar nach wie vor deutsche Produktionsstandorte unter anderem in München und Wiesbaden. Die Betriebe sind aber geschrumpft, und die Entscheidungen fallen anderswo. Die Rechtsform wurde von der deutschen Aktiengesellschaft zur britischen Public Limited Company (plc) geändert.
Gemeinsam sind Linde und Praxair Weltmarktführer überall dort, wo Gas nicht zum Heizen verwendet wird. Sie liefern Kohlensäure für Getränkehersteller und Argon zum Schweißen, Sauerstoff für die Medizin und Trockeneis für Kühltransporte. Als großer Zukunftsmarkt gilt Wasserstoff.
2021 setzte der Konzern rund 31 Milliarden Dollar um und machte mehr als 5 Milliarden Dollar Gewinn. Im vergangenen Jahr dürfte das Geschäft um mehr als 10 Prozent gewachsen sein. Mit knapp 40 Prozent Umsatzanteil sind Nord- und Südamerika die wichtigsten Regionen.
Die Dax-Regeln bremsen den Kurs
Das gilt erst recht für den Kapitalmarkt. „Die doppelte Notierung in New York und Frankfurt war uns nach der Fusion nützlich“, heißt es in der Einladung für Aktionärinnen und Aktionäre. Aber die Notierung in Frankfurt begrenze zunehmend die Kursentwicklung. Denn im Dax gibt es ein Limit: Kein Einzelwert kann mit mehr als 10 Prozent im Index gewichtet werden.
Wegen seiner hohen Bewertung und des großen Freefloats bewegt sich Linde oft über dieser Marke – und spürt die Folgen: Steigt der rechnerische Anteil im Dax über 10 Prozent, müssen alle Fonds Linde-Aktien verkaufen, die den Index abbilden. Das führe zu einem „anhaltenden technischen Verkaufsdruck“, heißt es in der Einladung zur Hauptversammlung. Im Gegenzug werden allerdings auch viele Invesotren durch den Dax-Rückzug erst einmal gezwungen sein, bei Linde auszusteigen.
Die Finanzbranche macht sich Sorgen
Seit Lamba seine Pläne im vergangenen Oktober öffentlich machte, sorgt sich die deutsche Finanzszene um die Bedeutung des Börsenplatzes Frankfurt. „Das Beispiel Linde zeigt einmal mehr, wie schwierig es für den Finanzplatz Deutschland ist, sich global zu behaupten“, sagte etwa Joachim Schallmayer von der Fondsgesellschaft Deka Investment dem „Handelsblatt“.
Von einem „Schlag ins Kontor des deutschen Kapitalmarkts“ sprach der Vorstandschef der Deutschen Börse, Theodor Weimer, im „Manager Magazin“. „Wir haben alles versucht“ – aber eine Anhebung des Dax-Limits von 10 auf 15 Prozent habe die Mehrheit der Investoren in einer Umfrage abgelehnt.