Debatte über Klimaschutz: Hat Friedrich Merz das Wahlprogramm der CDU nicht gelesen?
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Friedrich Merz beim Wirtschaftstag Deutschland in Berlin.
© Quelle: imago images/Mike Schmidt
Berlin. Für Friedrich Merz war der Dienstag dieser Woche ein Tag nach seinem Geschmack. Der Wirtschaftsrat traf sich zur alljährlichen Tagung, ein Heimspiel für Merz, der Vizepräsident des CDU-nahen Verbandes ist.
Am Mittag schaute CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet vorbei. Er stellte seinem einstigen Widersacher im Kampf um den Parteivorsitz einen Spitzenjob in Aussicht – für den Fall, dass die Union die Wahl gewinnt. „Wir haben eine breite Mannschaft, Friedrich Merz gehört dazu“, so Laschet. „Er ist das wirtschafts- und finanzpolitische Gesicht, das auch die Bundespolitik prägen wird nach der Bundestagswahl.“
Jedem im Raum war klar, dass Merz damit eine Garantie für einen Kabinettsposten bekommen hat, aller Wahrscheinlichkeit nach den des Wirtschaftsministers. Mit dem Gedanken, eines Tages auf dem Stuhl Ludwig Erhards Platz nehmen zu dürfen, liebäugelt der Sauerländer schon länger.
Merz war erkennbar gut aufgelegt, als er an das Rednerpult schritt. Er wolle „einige wenige Anmerkungen“ machen, sagte er – und holte dann weit aus. „Wir sind Zeitzeugen einer fundamentalen, ich gehe so weit zu sagen, tektonischen Verschiebung der politischen und ökonomischen Machtzentren auf der Welt“, sagte er. Amerika falle als Ordnungsmacht aus, China werde den eigenen Anspruch einer politischen und ökonomischen Führungsmacht auch mit militärischen Mitteln durchsetzen.
Europa, beklagte Merz, beschäftige sich währenddessen ausschließlich mit sich selbst.
Und dann fuhr er schwere Geschütze gegen die Brüsseler Kommission auf. In der Handelspolitik gebe es seit Jahren keine Fortschritte. Schlimmer noch: Die EU sei im Begriff, einen neuen weltweiten Handelskonflikt vom Zaun zu brechen.
Merz zielte damit auf die sogenannte „Carbon border tax“, eine Steuer, mit der die EU die heimische Industrie nach der angestrebten Umstellung auf klimaneutrale Produktion im internationalen Wettbewerb schützen will. Wenn in Europa nur noch CO₂-freie Produkte hergestellt werden, sollen für Importe aus Ländern mit geringeren Klimaschutzstandards Abgaben erhoben werden, so die Idee.
„Wenn die Europäische Union wirklich dazu kommt, eine solche Steuer auf Produkte zu erheben, die nicht nach ihren Vorstellungen produziert worden sind, ist das nicht nur das Ende der Freihandelspolitik, sondern der Beginn eines neuen Welthandelskonfliktes, bei dem es nur Verlierer geben wird“, wetterte Merz.
Die nächste Bundesregierung müsse unabhängig von ihrer Zusammensetzung alles in ihrer Kraft Stehende tun, „um diesen Unsinn zu verhindern, der da in der Europäischen Kommission leider unter einer deutschen Kommissionspräsidentin geplant wird“.
Rums.
Mancher Zuhörer wunderte sich. Weniger über den Tritt vor das Schienbein von Parteifreundin und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sondern vor allem darüber, dass die Aussagen in einem deutlichen Widerspruch zum CDU-Wahlprogramm stehen. Die Union wolle „gemeinsam mit unseren europäischen Partnern einen WTO-konformen CO₂-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism) einführen“, heißt es dort unmissverständlich auf Seite 42.
Räumt der Schattenwirtschaftsminister als erste Amtshandlung einen wichtigen Baustein der Klimaschutzstrategie des CDU-Wahlprogramms ab? Oder hat er das Programm womöglich gar nicht gelesen?
Weder noch, heißt es auf RND-Nachfrage aus Merz’ Umfeld. Im CDU-Programm stehe nicht umsonst das Wörtchen „WTO-konform“, eine CO₂-Abgabe müsse also mit den Regeln der Welthandelsorganisation in Einklang stehen.
SPD-Politiker Miersch: „Merz hat Herausforderungen der Klima- und Wirtschaftspolitik nicht verstanden“
Das allerdings sieht der Vorschlag der EU-Kommission ausdrücklich auch vor. An insgesamt 24 Stellen verweist das Brüsseler Papier auf die Regeln der WTO.
Das stimme zwar formell, heißt es aus dem Merz-Lager, Merz selbst glaube aber nicht, dass sich eine WTO-konforme Regelung mit dem gegenwärtigen Entwurf der Kommission erreichen lasse.
Aus Sicht des politischen Gegners sind diese Argumente vorgeschoben. „Friedrich Merz zeigt mit seinen Äußerungen deutlich, dass er weder die Herausforderungen der Klima- noch die der Wirtschaftspolitik verstanden hat“, sagt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. „Dass jemand, der so sehr im gestrigen Denken verhaftet ist, nun das wirtschaftspolitische Gesicht der Union sein soll, zeigt, wie planlos und getrieben Armin Laschet inzwischen agiert“, so der SPD-Politiker weiter.
Unter nahezu allen Experten herrsche Konsens, dass der Umbau der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität nicht ohne einen wirksamen Schutzmechanismus für die Industrie funktionieren werde, erklärte Miersch. „Herr Merz sollte mal mit den Vorstandschefs von BASF oder Thyssenkrupp sprechen, die händeringend auf verlässliche Rahmenbedingungen warten, um ihre Unternehmen durch die Transformation zu führen.“
Die Rechtfertigung der Merz-Leute, wonach der EU-Vorschlag nicht WTO-kompatibel umsetzbar sei, wies Miersch zurück. „Das ist ein Totschlagargument von Freihandelsfetischisten“, sagte er. Natürlich seien Vereinbarungen auf internationaler Ebene möglich, dafür müsse man aber das Gespräch mit Ländern wie China und den USA suchen, wie es Olaf Scholz mit dem Klimaclub vorgeschlagen habe.
„Mein Verdacht ist, dass Herr Merz das in Wahrheit gar nicht will, genauso wenig, wie er einen wirksamen Klimaschutz will“, so Miersch. „Was die Union bei dem Thema derzeit aufführt, ist aus meiner Sicht konfus und unglaubwürdig.“