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Debatte über Klimaschutz: Hat Friedrich Merz das Wahlprogramm der CDU nicht gelesen?

Friedrich Merz beim Wirtschaftstag Deutschland in Berlin.

Friedrich Merz beim Wirtschaftstag Deutschland in Berlin.

Berlin. Für Friedrich Merz war der Dienstag dieser Woche ein Tag nach seinem Geschmack. Der Wirtschaftsrat traf sich zur alljährlichen Tagung, ein Heimspiel für Merz, der Vizepräsident des CDU-nahen Verbandes ist.

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Am Mittag schaute CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet vorbei. Er stellte seinem einstigen Widersacher im Kampf um den Partei­vorsitz einen Spitzenjob in Aussicht – für den Fall, dass die Union die Wahl gewinnt. „Wir haben eine breite Mann­schaft, Friedrich Merz gehört dazu“, so Laschet. „Er ist das wirtschafts- und finanz­politische Gesicht, das auch die Bundes­politik prägen wird nach der Bundes­tags­wahl.“

Jedem im Raum war klar, dass Merz damit eine Garantie für einen Kabinetts­posten bekommen hat, aller Wahr­schein­lichkeit nach den des Wirt­schafts­ministers. Mit dem Gedanken, eines Tages auf dem Stuhl Ludwig Erhards Platz nehmen zu dürfen, liebäugelt der Sauerländer schon länger.

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Merz war erkennbar gut aufgelegt, als er an das Rednerpult schritt. Er wolle „einige wenige Anmerkungen“ machen, sagte er – und holte dann weit aus. „Wir sind Zeitzeugen einer fundamentalen, ich gehe so weit zu sagen, tektonischen Verschiebung der politischen und ökonomischen Macht­zentren auf der Welt“, sagte er. Amerika falle als Ordnungs­macht aus, China werde den eigenen Anspruch einer politischen und ökonomischen Führungsmacht auch mit militärischen Mitteln durchsetzen.

Europa, beklagte Merz, beschäftige sich währenddessen ausschließlich mit sich selbst.

Und dann fuhr er schwere Geschütze gegen die Brüsseler Kommission auf. In der Handels­politik gebe es seit Jahren keine Fortschritte. Schlimmer noch: Die EU sei im Begriff, einen neuen weltweiten Handels­konflikt vom Zaun zu brechen.

Merz zielte damit auf die sogenannte „Carbon border tax“, eine Steuer, mit der die EU die heimische Industrie nach der angestrebten Umstellung auf klimaneutrale Produktion im internationalen Wett­bewerb schützen will. Wenn in Europa nur noch CO₂-freie Produkte hergestellt werden, sollen für Importe aus Ländern mit geringeren Klima­schutz­standards Abgaben erhoben werden, so die Idee.

„Wenn die Europäische Union wirklich dazu kommt, eine solche Steuer auf Produkte zu erheben, die nicht nach ihren Vorstellungen produziert worden sind, ist das nicht nur das Ende der Frei­handels­politik, sondern der Beginn eines neuen Welt­handels­konfliktes, bei dem es nur Verlierer geben wird“, wetterte Merz.

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Die nächste Bundes­regierung müsse unabhängig von ihrer Zusammen­­setzung alles in ihrer Kraft Stehende tun, „um diesen Unsinn zu verhindern, der da in der Europäischen Kommission leider unter einer deutschen Kommissions­präsidentin geplant wird“.

Rums.

Mancher Zuhörer wunderte sich. Weniger über den Tritt vor das Schienbein von Partei­freundin und Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen, sondern vor allem darüber, dass die Aussagen in einem deutlichen Widerspruch zum CDU-Wahl­programm stehen. Die Union wolle „gemeinsam mit unseren europäischen Partnern einen WTO-konformen CO₂-Grenz­ausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism) einführen“, heißt es dort unmissverständlich auf Seite 42.

Räumt der Schatten­wirt­schafts­minister als erste Amtshandlung einen wichtigen Baustein der Klima­schutz­strategie des CDU-Wahl­programms ab? Oder hat er das Programm womöglich gar nicht gelesen?

Weder noch, heißt es auf RND-Nachfrage aus Merz’ Umfeld. Im CDU-Programm stehe nicht umsonst das Wörtchen „WTO-konform“, eine CO₂-Abgabe müsse also mit den Regeln der Welt­handels­organisation in Einklang stehen.

SPD-Politiker Miersch: „Merz hat Herausforderungen der Klima- und Wirtschaftspolitik nicht verstanden“

Das allerdings sieht der Vorschlag der EU-Kommission ausdrücklich auch vor. An insgesamt 24 Stellen verweist das Brüsseler Papier auf die Regeln der WTO.

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Das stimme zwar formell, heißt es aus dem Merz-Lager, Merz selbst glaube aber nicht, dass sich eine WTO-konforme Regelung mit dem gegenwärtigen Entwurf der Kommission erreichen lasse.

Aus Sicht des politischen Gegners sind diese Argumente vorgeschoben. „Friedrich Merz zeigt mit seinen Äußerungen deutlich, dass er weder die Heraus­forderungen der Klima- noch die der Wirt­schafts­politik verstanden hat“, sagt SPD-Fraktions­vize Matthias Miersch. „Dass jemand, der so sehr im gestrigen Denken verhaftet ist, nun das wirt­schafts­politische Gesicht der Union sein soll, zeigt, wie planlos und getrieben Armin Laschet inzwischen agiert“, so der SPD-Politiker weiter.

Unter nahezu allen Experten herrsche Konsens, dass der Umbau der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität nicht ohne einen wirksamen Schutzmechanismus für die Industrie funktionieren werde, erklärte Miersch. „Herr Merz sollte mal mit den Vorstandschefs von BASF oder Thyssenkrupp sprechen, die händeringend auf verlässliche Rahmen­bedingungen warten, um ihre Unternehmen durch die Transformation zu führen.“

Die Rechtfertigung der Merz-Leute, wonach der EU-Vorschlag nicht WTO-kompatibel umsetzbar sei, wies Miersch zurück. „Das ist ein Totschlag­argument von Frei­handels­fetischisten“, sagte er. Natürlich seien Vereinbarungen auf internationaler Ebene möglich, dafür müsse man aber das Gespräch mit Ländern wie China und den USA suchen, wie es Olaf Scholz mit dem Klima­club vorgeschlagen habe.

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„Mein Verdacht ist, dass Herr Merz das in Wahrheit gar nicht will, genauso wenig, wie er einen wirksamen Klimaschutz will“, so Miersch. „Was die Union bei dem Thema derzeit aufführt, ist aus meiner Sicht konfus und unglaubwürdig.“

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