Der Chipmangel bringt VW ins Schlingern
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Im Wolfsburger VW-Turm wird um ein Milliardenbudget für die nächsten Jahre gepokert.
© Quelle: Sina Schuldt/dpa
Hannover. Der Chipmangel bremst den VW-Konzern stärker, als man noch im Sommer in Wolfsburg geglaubt hatte. Im dritten Quartal ist die Produktion drastisch geschrumpft, der Gewinn hat gelitten, und die größte Konzernmarke fuhr sogar Verluste ein. Vorstandschef Herbert Diess sprach von „erheblichen Belastungen“ und hält vor allem die Marke VW nicht für ausreichend gerüstet: Die Produktivität müsse steigen, die Belegschaft weiter schrumpfen.
Die Marke VW ist zu anfällig
Die aktuellen Probleme legten grundsätzliche Schwächen offen, sagte Diess. Finanzchef Arno Antlitz sprach in einer Telefonkonferenz immer wieder von mangelnder Resilienz: Vor allem der Marke VW fehle es an Widerstandskraft. Sie sei zu sehr auf hohe Stückzahlen angewiesen und zu anfällig in schwierigen Zeiten. Von Juli bis September machte sie rund 180 Millionen Euro Verlust.
Nachdem der Vorstand im Sommer noch ein Rekordhalbjahr gefeiert und die Prognose heraufgesetzt hatte, reagierte die Börse verschreckt: Der Kurs der VW-Aktie fiel um mehr als 4 Prozent. In den Tagen vor der Zwischenbilanz war der Kurs in Erwartung guter Nachrichten noch deutlich gestiegen.
Hinter den Kulissen wird nun offenbar heftig um die Zukunft gerungen: Die Investitionsplanung für die nächsten fünf Jahre wird nicht, wie vorgesehen, in zwei Wochen fertig sein. Sie soll nun Anfang Dezember beschlossen werden, sagte Diess in einer Analystenkonferenz.
Dabei wird ein Investitionsbudget von rund 150 Milliarden Euro weltweit verteilt. Der Plan entscheidet also über Auslastung und Zukunftschancen aller Standorte und Marken, die Beratung im Aufsichtsrat gilt vielen als der wichtigste Termin des Jahres.
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In Wolfsburg werden bisher die Modelle Golf und Tiguan gebaut.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Im Mittelpunkt steht dabei die Fabrik in Wolfsburg. Weil Elektronikteile fehlen, ist das Stammwerk aktuell nur zur Hälfte ausgelastet. Aber die Probleme reichen tiefer: Diess warnte im Aufsichtsrat bereits vor dem möglichen Verlust von 30.000 Arbeitsplätzen und sorgte damit für einigen Aufruhr. Erst am Mittwoch musste er auf Druck der Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo eine USA-Reise absagen, um nächste Woche an einer Betriebsversammlung in Wolfsburg teilnehmen zu können.
Die Autohersteller produzieren hochpreisige Fahrzeuge, getreu dem Motto: Porsche statt Polo!
Frank Schwope
Aktienanalyst Nord/LB
Dort dürfte Diess auch die Zwischenbilanz des dritten Quartals wiederholen: Wegen des Mangels an Elektronikteilen hat der Konzern weltweit nur zwei Millionen Autos ausgeliefert, knapp ein Viertel weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz schrumpfte aber nur um vier Prozent auf 57 Milliarden Euro, weil bevorzugt teure Autos produziert werden. „Porsche statt Polo“ sei das Motto, schreibt Nord/LB-Analyst Frank Schwope.
In China schmelzen die Marktanteile
Tatsächlich verdankt der Konzern seinen Gewinn Porsche, Audi und der Finanztochter VW Financial Services. Die Massenmarken, allen voran VW, rutschten dagegen in die roten Zahlen. Insgesamt lag der operative Gewinn mit 2,6 Milliarden Euro um 18 Prozent unter dem Vorjahreswert. Auch das Geschäft im wichtigsten Markt China schwächelte, VW verlor dort wegen der Lieferengpässe viel Marktanteil.
Das Polster aus dem ersten Halbjahr hilft
Dank des Polsters aus dem ersten Halbjahr steht der Konzern insgesamt zwar immer noch gut da, aber der Ton für die nächsten Monate ist gesetzt: „Die Ergebnisse zeigen einmal mehr, dass wir die Verbesserung der Produktivität im Volumenbereich jetzt konsequent vorantreiben müssen“, betonte Diess. „Natürlich brauchen wir einen Stellenabbau“, sagte er mit Blick auf Wolfsburg in einer Telefonkonferenz. Details ließ er offen und damit auch die Frage, ob die laufenden Abbauprogramme ausreichen werden.
Damit könnten dem Konzern noch einmal bewegte Wochen bevorstehen. In der Planungsrunde legen Management und Betriebsrat fest, wo wieviel investiert wird und welche Autos aus welchen Werken kommen sollen. Spannungen und öffentliche Konflikte im Vorfeld gehören zum Ritual dieser jährlichen Runden, aber eine Verschiebung war bisher nicht nötig.
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VW-Chef Herbert Diess.
© Quelle: Carsten Koall/dpa
Diess bemüht sich aktuell, die Wogen etwas zu glätten, hält den Druck aber hoch. Er spricht von einer „Revolution“ im Wolfsburger Werk. Die verspricht auf der einen Seite Wettbewerbsfähigkeit und sichere Arbeitsplätze. Ein neues Elektroauto unter dem Projektnamen Trinity soll dort gebaut werden, das Maßstäbe setzen werde - als Auto, aber auch in der Produktionstechnik. Diess hält seinen Leuten stets den Konkurrenten Tesla vor, dessen neues Werk in Grünheide weitaus effizienter arbeiten werde als die VW-Fabrik.
Wir arbeiten an einer gemeinsamen Vision für Wolfsburg.
Herbert Diess
VW-Chef
Deshalb wird die Wolfsburger „Revolution“ auch Arbeitsplätze kosten. Trinity bedeute schnellere und einfachere Abläufe und damit viel weniger Arbeitsaufwand, sagte Diess. Deshalb wird das Projekt wohl nicht ausreichen, um die Beschäftigung in Wolfsburg dauerhaft zu sichern. Außerdem soll die Produktion frühestens 2026 starten. Der Betriebsrat fordert deshalb den Bau eines weiteren Elektroautos in Wolfsburg. Diess wiederum dürfte seine Zustimmung in der Planungsrunde von Zugeständnissen abhängig machen.
Betriebsrat fordert Klarheit für Werk Wolfsburg
Sein Gegenüber ist dabei erstmals die neue Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, die den Konzernchef zuletzt deutlich kritisiert hat. „Als Betriebsrat erwarten wir, dass es ein Zielbild für 2030 für den Standort Wolfsburg gibt“, sagte Cavallo nach dessen jüngsten Äußerungen. „Was die Situation der Beschäftigten betrifft, ist die Lage eindeutig: Wir haben eine Beschäftigungssicherung bis 2029.“
Diess hält sich zu den laufenden Verhandlungen bedeckt, betonte aber, dass er Cavallo sehr schätze. Er teile mit ihr „die Erkenntnis, dass wir uns auf eine neue Phase des Wettbewerbs einstellen müssen“, sagte Diess. „Wir arbeiten an einer gemeinsamen Vision für Wolfsburg.“