Handelsexperte zur Pleitewelle: „Die Pandemie ist in den Städten sichtbar“
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„Time to say Goodbye“: Viele Geschäfte haben wegen der Corona-Pandemie Existenzsorgen – oder müssen gar vollständig schließen.
© Quelle: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Herr Genth, zu Beginn des Jahres prophezeiten Sie „eine Pleitewelle, wie wir sie noch nie erlebt haben“. Hat sich Ihre Befürchtung bewahrheitet? Lässt sich das überhaupt schon absehen?
Monatelange Lockdowns und das verlorene erste Halbjahr 2021 haben viele Handelsbetriebe an den Rand ihrer Existenz gebracht. Die Spuren der Pandemie sind schon heute in unseren Innenstädten sichtbar. Große Filialunternehmen und auch viele kleine und mittlere Unternehmen mussten ihr Geschäft aufgeben, teilweise wurden einzelne Standorte geschlossen. Leerstände sehen wir daher bundesweit in den Stadtzentren. Angesichts neuer Corona-Varianten und angepasster Maßnahmen herrscht im Handel noch immer große Anspannung. So fürchtet die Hälfte der Non-Food-Händler bei anhaltenden Zutrittsbeschränkungen für Geschäfte um ihre Existenz. Die weitere Entwicklung hängt vom Verlauf der Pandemie und dem politischen Umgang hiermit ab, ist zum jetzigen Zeitpunkt also schwer absehbar.
Welches Fazit ziehen Sie für das Weihnachtsgeschäft?
Das Weihnachtsgeschäft war ein Rückschlag, der den Einzelhandel kurz vor dem Jahreswechsel besonders hart trifft. Bis Mitte November liefen die Geschäfte noch recht ordentlich. Mit den 2G-Maßnahmen gab es dann einen abrupten Wandel. Statt eines umsatzstarken Jahresendspurts waren im Non-Food-Handel Umsatzeinbrüche um mehr als ein Drittel im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 zu beobachten. In den Innenstädten sind die Frequenzen um mehr als 40 Prozent abgesackt. Insgesamt sind die Adventswochen enttäuschend verlaufen.
Was erwarten Sie von der Politik, um im neuen Jahr eine Pleitewelle abzuwenden?
Auch im neuen Jahr ist die erfolgreiche Eindämmung der Pandemie die große Herausforderung, für jeden Einzelnen von uns ebenso wie für die Politik. Oberste Priorität müssen daher Fortschritte bei den Impfungen haben. Der Handel setzt sich hierfür im Rahmen seiner eigenen Impfkampagne „Leben statt Lockdown“ weiterhin ein und sorgt für niedrigschwellige Impfangebote vor Ort. Doch mit Blick auf die geltenden Corona-Maßnahmen ist auch eine Anpassung der Wirtschaftshilfen gefragt. Sie müssen auf die Lebensrealität der Händler abgestimmt werden und an Komplexität verlieren.
Die Omikron-Welle droht den Handel im Januar erneut erheblich zu erschweren. Wie bereitet sich der Handel darauf vor?
Der Einzelhandel setzt weiterhin auf seine bewährten und erfolgreichen Hygienekonzepte und wird diese nochmals schärfen, um Kunden und Mitarbeiter zu schützen. In Geschäften besteht kein erhöhtes Infektionsrisiko, sicheres Einkaufen und Arbeiten sind wie gewohnt möglich. Eine zentrale Rolle in der Vorbereitung auf neue Corona-Varianten spielen zudem Impfungen, bei denen der Handel mit seiner Impfkampagne unterstützen wird.
Die Pandemie scheint einen Wandel der Innenstädte erheblich zu beschleunigen. Viele Stadtplaner empfehlen mehr Kultur, Gastronomie und Wohnen in den Zentren – was zulasten des Handels ginge. Müssen die Verkaufsflächen in den Innenstädten also nicht ohnehin reduziert werden?
Zukunftsfähige Innenstädte zeichnen sich durch einen gelungenen Branchenmix aus, der die Multifunktionalität der Zentren sichert. Nur attraktive, abwechslungsreiche und lebendige Stadtkerne können die Menschen auch in Zukunft begeistern. Dem Handel kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, denn der Einkauf im Geschäft vor Ort ist häufig der Grund für den Innenstadtbesuch. Die Stadtzentren von morgen zu gestalten bedarf daher der Einbindung aller Stadtakteure. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt.
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Eines der Bilder der Pandemie: leere Innenstädte – wie hier in Stuttgart. Viele Geschäfte mussten deswegen schließen.
© Quelle: imago images/Lichtgut
Der Bund hat sein Programm „Zukunftsfähige Innenstädte“ mit 250 Millionen Euro jährlich ausgestattet. Reicht das aus, um den Wandel der Stadtzentren zu unterstützen?
Für das Bundesprogramm und die Innenstadtfördermittel des Bundesinnenministeriums hat sich der HDE erfolgreich eingesetzt. Dass die Innenstadtentwicklung gefördert wird, ist ein wichtiger Beitrag für den Erhalt unserer Stadtzentren. Die 250 Millionen Euro unterstützen Kommunen in einer Zeit, in der die Innenstädte pandemiebedingt angeschlagen sind. Wichtig ist daher die Fortsetzung der Innenstadtstrategie, wie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgesehen. Denn über das Bundesprogramm hinaus besteht von der Digitalisierung bis hin zur Stadtgestaltung dringender Handlungsbedarf, um die Stadtzentren für die Zukunft aufzustellen.