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Klimaschutz als Megaaufgabe

IG-Bau-Chef: „Wir werden zur Umweltgewerkschaft“

Der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger.

Der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger.

Frankfurt am Main. Robert Feiger, Jahrgang 1962, ist seit 2013 der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG Bau). Der gebürtige Augsburger hat nach der Realschule eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht. Nach dem Besuch der Sozialakademie in Dortmund wurde er Gewerkschaftssekretär. Seit 2007 gehört er zum Bundesvorstand der IG Bau.

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Im RND-Interview kündigt Feiger eine Neuorientierung seiner Gewerkschaft an: Die Aufgaben, die im Rahmen des Klimaschutzes auf die Immobilien- und Bauwirtschaft zukommen, seien immens. Deshalb: „Wir werden künftig das „U“ in unserem Namen verstärken“, so Feiger. Als eine der wichtigsten Aufgaben benennt er die energetische Gebäudesanierung. „Dafür brauchen wir betriebliche und handwerkliche Kapazität“, betont der IG-Bau-Chef. Er schlägt vor, in einer Kooperation von Arbeitgebern, Gewerkschaft und Staat Abhilfe zu schaffen. Die Neuorientierung ist auch einer der Schwerpunkte des viertägigen Gewerkschaftstages der IG Bau, der am Montag beginnt. Der Gewerkschaftstag findet alle vier Jahre statt.

Herr Feiger, steht die Baubranche vor der größten Krise seit vielen Jahren?

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Was man gesichert sagen kann: In der Baubranche ist zumindest eine Stimmungswende eingetreten. Aber in der Tat: Seit Januar haben wir ein Verdreifachen der Bauzinsen. Wir haben erhebliche Verteuerungen beim Baumaterial – bedingt durch Lieferengpässe und bedingt natürlich auch durch den Ukraine-Krieg. Das Ganze verbunden mit nach wie vor zu geringen Kapazitäten in der Baubranche bei einem hohen Auftragsbestand. Im Grunde eine beinahe toxische Situation.

Besteht Hoffnung auf Besserung?

Ich gehe von weiteren Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank aus. Aber die Lieferengpässe entspannen sich zusehends. Und wegen des erwähnten hohen Auftragsbestandes gehe ich dennoch für die nächsten Monate von einer stabilen Lage in der Baubranche aus. Anlass zum Nachdenken gibt die Tatsache, dass einzelne Projektentwickler Vorhaben auf Eis legen. Aber der Bedarf nach neuen Wohnungen ist nach wie vor natürlich da. Bei der energetischen Gebäudesanierung gibt es riesige Aufgaben für die Bauwirtschaft. Eine derartige Situation habe ich in den 35 Jahren, in denen ich mit dem Bau zu tun habe, noch nicht erlebt. Es gibt viel Unsicherheit im Markt. Aber ich gehe davon aus, dass die Branche in den nächsten ein bis zwei Jahren wieder auf einen Wachstumskurs einschwenken wird.

Wegen der hohen Nachfrage bei der energetischen Sanierung, die ein enorm wichtiges Projekt für den Klimaschutz ist?

Wir schaffen es derzeit, gerade einmal ein Prozent des Gebäudebestandes pro Jahr auf den notwendigen Standard bringen. Rechnerisch würde es also 100 Jahre dauern, bis alle Gebäude fit für den Klimaschutz sind. Neben dem Neubau geht es vor allem um 19,3 Millionen Wohngebäude im Bestand. Um die Ziele bis zum Jahr 2045 zu erreichen, müssen wir die Geschwindigkeit verdoppeln. Dafür brauchen wir betriebliche und handwerkliche Kapazität.

Vom Bauarbeiter zum Energieexperten

Die momentan nicht da ist?

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Es gibt ein riesiges Betätigungsfeld für das Bauhandwerk. Aber ich muss die Qualifikation der Beschäftigten organisieren. Denn nicht jeder kleine Handwerksbetrieb ist in der Lage, diese Qualifikation zu gewährleisten. Unser Angebot als IG Bauen Agrar Umwelt ist, über unsere gemeinsamen Einrichtungen mit der Bauwirtschaft – das sind die Sozialkassen des Baugewerbes – die überbetriebliche Qualifikation der Beschäftigten für die energetische Sanierung zu organisieren.

Wie wollen Sie das umsetzen?

Alle Unternehmen der Bauwirtschaft zahlen bereits eine Umlage, aus der die überbetriebliche Ausbildung junger Menschen finanziert wird. Wir brauchen nun ein zusätzliches Standbein zur Weiterqualifizierung von Beschäftigten in kleineren Betrieben – zum Beispiel für die energetische Gebäudesanierung und andere Zukunftstechnologien.

Bedeutet das auch eine Art Neuorientierung Ihrer Gewerkschaft?

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Wir werden künftig das „U“ in unserem Namen verstärken. Die Aufgaben, die im Rahmen des Klimaschutzes auf die Immobilien-, Bau- und Gebäudewirtschaft zukommen, sind immens.

Kampf gegen sterbende Wälder und für mehr Ökolandbau

Bleibt die Neuorientierung nur bei der Gebäudesanierung?

Nein. Wir sind auch für die Forstwirtschaft zuständig. Wir haben katastrophale Dürreschäden in den Wäldern. Aber in den vergangenen Jahren hat der Bund dort massiv Stellen abgebaut. Wir haben errechnet, dass wir pro 1000 Hektar Wald einen Förster, eine Försterin benötigen. Wir brauchen also 11.000 zusätzliche Stellen.

Und was ist mit dem „A“ im Namen?

Im Agrarsektor müssen wir hin zu mehr ökologischen Produktionsweisen, auch hier spielen Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle. Ich nenne mal als Stichwort Überdüngung der Böden. Auch das stellt ganz neue Anforderungen in alle, die in der Agrarbranche tätig sind.

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Zurück zu den Gebäuden. Wo und wie müssen Klimaqualifikationen geschaffen werden?

Was wir nicht wollen, ist eine energetische Gebäudesanierung im unqualifizierten, verantwortungslosen Schnellverfahren. Das muss Substanz und handwerkliche Qualität haben. Pfusch am Bau wird es mit der IG Bauen Agrar Umwelt nicht geben. Entscheidend ist doch, für Beschäftigte, die bereits in Handwerksbetrieben arbeiten, die essenziellen Zusatzqualifikationen für den Klimaschutz zu organisieren.

Wie läuft es denn gegenwärtig?

Derzeit werden Beschäftigte von den Herstellern von Baumaterialien und Dämmstoffen in Kurzverfahren geschult. Aber den Beschäftigten fehlen breitere Kenntnisse, die dringend notwendig sind – in Fragen der Bauphysik, der Statik oder der Belüftung von Wohngebäuden.

Und die Arbeitgeber sollen das bezahlen?

Ich schlage vor, über tarifvertragliche Regelungen ein finanzielles Fundament zu schaffen. Aber es gibt sowohl eine EU-Initiative als auch eine Initiative der Bundesregierung mit dem Ziel, die Fachkräftequalifizierung erheblich auszuweiten. Es geht um eine Kooperation von Arbeitgebern, Gewerkschaft und Staat. Und natürlich auch mit finanziellen Mitteln vom Staat. Das halte ich für eine schnell wirkende Maßnahme, um die Defizite bei den Fachkräften am Bau abzubauen. Ich empfehle, dies schnell umzusetzen, denn die Nachfrage ist nach wie vor extrem hoch.

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Kritik am Aus für den Mindestlohn

Aber der Baubranche fehlen doch auch die „ganz normalen“ Auszubildenden?

Das stimmt. Die Zahl der Auszubildenden ist in den letzten fünf bis sechs Jahren zwar kontinuierlich gestiegen. Aber das reicht bei Weitem noch nicht aus, um die Aufgaben, die vor uns liegen, zu stemmen.

Also mehr Geld für Bauarbeiter?

Auch das. Die IG Bau ist die Erfinderin des Branchenmindestlohns – vor mehr als einem Vierteljahrhundert. Die Arbeitgeber haben die Vorschläge eines Schlichters für eine Fortführung des Branchenmindestlohns abgelehnt. Der Mindestlohn gilt aber vor allem für Arbeitnehmer, die aus Staaten außerhalb der EU kommen, als unterste Lohnlinie. Wer jetzt ein Signal gegen den Mindestlohn gibt – zugunsten Lohndumping und schmutzigen Wettbewerb – der macht die Branche alles andere als attraktiver. Das schadet letztlich der gesamten Branche, die eine Herkulesaufgabe zu bewältigen hat.

Eine andere Herkulesaufgabe ist die Wohnungsnot. Der Eindruck drängt sich auf, dass es da nicht wirklich vorangeht.

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Der Bestand an Sozialwohnungen hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen. In der alten Bundesrepublik gab es noch vier Millionen Sozialwohnungen. Wir sind jetzt bei einer Million. Insofern ist das Projekt der Bundesregierung mit 400.000 neuen Wohnungen im Jahr, davon 100.000 sozial gebundene Wohnungen, sportlich und ambitioniert.

Dreimal mehr Geld für den Wohnungsbau

Kann das Bauministerin Klara Geywitz (SPD) schaffen?

Ich denke an die gesamte Legislaturperiode: Mit allen Anstrengungen und mit der ausreichenden finanziellen Ausstattung des Bauministeriums kann das Ziel erreicht werden. Die Ministerin will bauen und sie will sich auch an hohe Klimastandards halten, auch bei sozial geförderten Wohnungen. Allerdings muss sie auch in die Lage versetzt werden, bauen zu können – also die gemeinsam vereinbarten Ziele der Bundesregierung zu erreichen. Da sehen wir einen erheblich höheren finanziellen Bedarf als das, was derzeit abgedeckt ist.

Wird die Bauministerin durch Finanzminister Christian Lindner (FDP) gebremst?

Ich sage schlicht und einfach: Das Bauministerium hat nicht ausreichend Mittel, um das Ziel der 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr zu erreichen. Dafür stehen derzeit in dieser Legislaturperiode 12,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir benötigen aber eine Größenordnung, die sich eher im dreifachen Bereich bewegt – für die gesamten vier Jahre der Legislaturperiode.

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