Lieferengpässe: Bei welchen Produkten derzeit Mangel herrscht
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Jetzt kommt Nachschub für die deutsche Wirtschaft. Am Hamburger Hafen werden die Kapazitäten knapp. Experten rechnen aber erst fürs nächste Jahr mit einer Entspannung bei den Lieferengpässen.
© Quelle: Getty Images
Frankfurt. „Das ist der blanke Wahnsinn“, sagte der Einkaufschef einer renommierten Firma aus der Medizintechnik dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Jeden Tag tun sich neue Löcher auf und wir versuchen, sie mit Improvisation zu stopfen.“ Es werde viel telefoniert. Netzwerke würden genutzt, um dringend gebrauchte Komponenten zu beschaffen. Der Preis spiele oft keine Rolle mehr. „Hauptsache wir kriegen was.“
Und dabei gehe es nicht nur um die immer wieder zitierten Computerchips. Es seien auch manchmal einfach nur fehlende Schrauben. Vielen Maschinen- oder Anlagenbauern geht es ähnlich. Laut einer Befragung des Münchner Ifo-Instituts leiden derzeit drei von vier Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes unter Engpässen beim Material.
Im ersten Lockdown wurde weltweit die Produktion heruntergefahren
An allen Ecken und Enden wird es in Deutschland knapp – vom Turnschuh bis zum Geschirrspüler. Hauptursache sind die Nebenwirkungen der Pandemie, die vielfach von Managern unterschätzt wurden. Im ersten großen Lockdown wurden weltweit Produktion und Logistikkapazitäten schnell heruntergefahren.
Doch die Nachfrage zog ebenso schnell wieder an – vor allem wegen riesiger, weltweiter staatlicher Hilfs- und Konjunkturprogramme. Nun hapert es vor allem beim Transport. Es fehlt an Schiffen und an Containern. Die Frachtraten haben sich so stark verteuert, dass es sich vielfach kaum noch lohnt, die Güter auf den Weg zu schicken.
Und zu einem immer größeren Problem wird der Arbeitskräftemangel. Vier internationale Organisationen haben kürzlich anlässlich der UN-Vollversammlung vor einem Zusammenbruch der globalen Lieferketten gewarnt. Tausende Transportarbeiter haben sich wegen schlechter Arbeitsbedingungen Jobs in anderen Branchen gesucht. Hinzu kommt, dass laut internationaler Schifffahrtskammer nur etwa 30 Prozent der Seeleute geimpft sind.
Zwar hoffen viele Wirtschaftsexpertinnen und -experten auf eine Entspannung im nächsten Jahr. Breitet sich aber die Delta-Variante weiter aus, könnten sich Einschränkungen im Welthandel weiter verstärken. Schon jetzt sind hierzulande viele Produkte, deren Verfügbarkeit bislang selbstverständlich war, rar geworden.
Eine Auswahl:
Hausgeräte: Auch die sogenannte weiße Ware besteht aus Tausenden von Komponenten. Geschirrspüler etwa sind seit Monaten Mangelware. Die Manager von Herstellern wie Miele oder Bosch und Siemens (BSH) mussten schon im Frühjahr einräumen, dass sie von der großen Nachfrage überrascht wurden.
Die Lockdowns überall in Europa hatten die Verbraucher ermuntert, ihr Zuhause schöner zu machen. Küchen, in denen wieder mehr gekocht wird, werden auf Vordermann gebracht. Doch die Produktion der Hausgeräte kann seit Monaten mit der Nachfrage nicht mehr mithalten.
Mehrere Monate Lieferzeit sind die Folge. Das Problem: Wenn auch nur ein Bauteil nicht da ist, kann der Geschirrspüler nicht fertiggestellt werden. Natürlich sind es häufig Chips, die fehlen. Aber auch an Kunststoffteilen oder Stahlblechen mangelt es vielfach. Miele etwa konnte jüngst im Bielefelder Werk über mehrere Tage keine Geschirrspüler mehr fertigen.
Schöner Wohnen: Auch Bäder sollen schöner werden. Villeroy & Boch etwa meldete gerade, dass man stark „vom Trend der Renovierung des häuslichen Umfelds“ profitiere. In den ersten neun Monaten kletterte der Umsatz im Geschäftsfeld Sanitärkeramik um mehr als die Hälfte. Und nicht nur hierzulande ist die Nachfrage groß, die Saarländer berichten auch von einem „wieder erstarkten Projektgeschäft“ in China.
Die große globale Nachfrage verlängert Lieferzeiten und treibt Preise in die Höhe. Dazu passt, dass laut Ifo-Institut 99 Prozent der Baumärkte und Möbelhäuser unter Nachschubproblemen leiden. Das seien auch die Folgen der Holzpreisrallye in der ersten Jahreshälfte, so Ifo-Experte Klaus Wohlrabe.
Damals zog die Nachfrage vor allem in China und den USA an, weil dort enorm viel gebaut wurde. Wobei die Alarmstimmung noch längst nicht vorbei ist. Bauholz ist im September wieder deutlich teurer geworden. Der aktuelle Preis liegt laut Hauptverband der Deutschen Bauindustrie um 137 Prozent über dem Vorjahr.
Fahrräder: Einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts zufolge beklagen sich 74 Prozent der Einzelhändler über zu wenig Ware. „Die Beschaffungsprobleme der Industrie sind nun auch hier angekommen“, sagt Wohlrabe. Manches Weihnachtsgeschenk werde vielleicht nicht lieferbar sein oder teuer werden.
Besonders krass ist die Lage bei den Fahrradhändlern. 100 Prozent beklagen ausstehende Bestellungen. Vier von zehn schon im Vorjahr bestellte Räder sind nach Angaben des Zweiradverbandes VDZ noch immer nicht da. Der Grund: Fast alle Velo-Teile müssen den weiten und inzwischen sehr teuren Weg per Schiff von Asien nach Europa bewältigen.
Smartphones: Auch in der Unterhaltungselektronik klemmt es vielfach. Selbst bei einem so mächtigen Konzern wie Apple stockt der Nachschub bei bestimmten Modellen des iPhones. Branchenkenner gehen davon aus, dass auch hier eine immense Nachfrage auf eine gedrosselte Fertigung wegen des globalen Chipmangels trifft. Und auch ein Unternehmen wie Samsung, das die Halbleiter selbst herstellt, kann sich dem nicht entziehen: Denn auch dieser Konzern ist in der höchst komplexen Fertigung von Hunderten Zulieferern abhängig. Und sämtliche Kapazitäten sind ausgelastet. Sie lassen sich kurzfristig nicht erweitern.
Bemerkenswert ist, dass einer Studie der DZ Bank zufolge, die Preise für die elektronischen Komponenten bislang kaum gestiegen sind. Das hänge einerseits mit langfristigen Lieferverträgen zusammen. Andererseits könne einfach nicht mehr produziert werden. Und dann kann auch nicht teuer verkauft werden. Am stärksten betroffen von der Chipkrise sind indes noch immer die Autobauer: Die Fertigung liegt derzeit rund 40 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.
Sneakers: Eine ganz spezielle Entwicklung steckt hinter dem Mangel an Sneakers: Die Turnschuhe werden knapp, weil ein Großteil davon – und zwar für alle wichtigen Marken – in Südvietnam hergestellt wird. Dort grassiert die Delta-Variante des Coronavirus. Zugleich ist die Impfquote dort sehr gering. Deshalb hat die dortige Regierung große Fabriken dicht gemacht oder die zulässige Zahl der anwesenden Arbeitskräfte stark reduziert. Ein knappes Angebot im Weihnachtsgeschäft ist die Folge.
Lebensmittel: Discounter und Drogeriemärkte haben ihre Kundinnen und Kunden auf höhere Preise und spärlicher gefüllte Regale eingestellt. Unter anderem bei Shampoo und Zahnpasta könnte es eng werden. Eine der Ursachen ist Medienberichten zufolge, dass bei den Flutkatastrophen im Sommer große Lagerhäuser überschwemmt worden sein sollen, was sich noch immer auswirke, da es schwer sei, Nachschub von anderswo zu bekommen.
Auch bei Nudeln sieht es nicht gut aus. Die Weizenernte ist in diesem Jahr insbesondere in Kanada wegen einer Dürreperiode äußerst dürftig ausgefallen. Kanada ist das wichtigste Anbaugebiet für Hartweizen, aus dem Pasta gemacht wird. Zumindest Einschränkungen beim Angebot und natürlich deutliche Preissteigerungen werden erwartet.
Papier: Verlage leiden massiv unter dem Mangel an Bedruckbarem. Das ist eine Spätfolge der Lockdowns. Der Boom des Onlinehandels veranlasste viele Papierfabriken, ihre Fertigung auf Verpackungen umzustellen. Hinzu kommt, dass deutlich weniger Altpapier anfiel, weil weniger Anzeigenzeitungen gedruckt wurden, was wiederum seine Ursache in einem Zurückfahren von Werbeaktionen des Handels hatte. Zudem lässt sich aus benutzten Verpackungen nur mit viel Aufwand das grafische Papier herstellen, das Druckereien benötigen.
Ferner ist auch Zellstoff als weiterer Rohstoff für die Papierherstellung schwer zu bekommen. Er muss von weither mit Containern importiert werden – die Kosten für die Transporte haben sich vervielfacht. Verleger und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels erwarten ein schwieriges Weihnachtsgeschäft, mit Büchern, die nicht lieferbar sein könnten, oder verspätet beim Kunden ankommen.