Neuer Ansatz: mit flüssiger Luft zur Energiewende
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Ein Plakat „Klimaziel 1,5 Grad Celsius – Da fährt man besser Rad" während einer Demo. Das Start-up Phelas aus Gilching bei München will mit flüssiger Luft global die Energiewende zum Selbstläufer machen.
© Quelle: imago images/Martin Müller
München. Justin Scholz macht sich noch schnell ein paar Notizen. „Ich habe gerade mit einem Investor gesprochen“, entschuldigt sich der 28-jährige Wirtschaftsingenieur. Er möchte eine Idee an den Mann bringen, die ambitioniert klingt. „Wir wollen die Energiewende global zum Selbstläufer machen, und dazu brauchen wir etwas, das es überall gibt“, sagt der gebürtige Münchner.
Es handelt sich um Luft. Diese in flüssiger Form als Energiespeicher zu nutzen hat sich das gerade von Scholz und drei Mitstreitern gegründete Start-up Phelas aus Gilching bei München zur Aufgabe gemacht. Der Gründer versucht anschaulich zu erklären, wie viel Energie in flüssiger Luft gespeichert werden kann. „Aus einem Liter Flüssigluft werden 727 Liter gasförmige Luft.“
Einleuchtende Vorteile
Auch Laien verstehen sofort, dass bei dieser Umwandlung enorme Druckunterschiede auftreten und Energien frei werden, die zur Stromabgabe taugen. Dazu kommen weitere, unmittelbar einleuchtende Vorteile. Wird zum Beispiel etwas undicht, entweicht nur Luft und kein Gift. „Luft kann nicht wie eine Lithium-Ionen-Batterie brennen“, erklärt Scholz weiter.
Die Speichersysteme, die Phelas plant, hätten eine Systemhaltbarkeit von mindestens 15 Jahren. Das soll heißen, dass sie anders als herkömmliche Batterien über diesen Zeitraum nicht in ihrer Speicherfähigkeit nachlassen, also weit länger haltbar sind. Mit dieser Idee haben Scholz, Physik-Professor Pit Sippel, Energieingenieur Leon Haupt und Unternehmensberater Christopher Knoch am 16. November 2020 mitten in der Corona-Pandemie nach zweieinhalbjährigen Vorarbeiten Phelas gegründet, womit ihr Unternehmen auch für Start-up-Verhältnisse jung ist.
Das Start-up hat namhafte Förderer
Namhafte Förderer wie die Europäische Raumfahrtagentur Esa, den Versicherer Munich Re oder die Initiative for Industrial Innovators gibt es dennoch schon. „Wir gehen definitiv davon aus, dass das Potenzial hat“, sagt Esa-Experte Thomas Balletre. Technologisch sei die Phelas-Idee auf jeden Fall machbar. Sie könne zu einem Teil der Energiewende werden, auch wenn es immer Risiken bei einer jungen Technologie wie dieser gebe. „Phelas hat uns in allen Punkten überzeugt“, bescheinigt Munich Re.
Diese Punkte reichen von Realisierbarkeit über skalierbare Geschäftsperspektive bis zum für den Versicherer besonders wichtigen Klimaaspekt. Munich Re hofft bei Phelas auf die Entwicklung eines Stromspeichersystems, das fossile Stromerzeugung bald vollständig verzichtbar macht. Scholz und seine Mitstreiter sind ehrgeizig. „Wir wollen 2025 am Markt sein“, sagt er zum Geschäftsplan.
Technik verpackt in Behältern
Verpackt werden sollen Technik und Flüssigluftspeicher mit Kapazitäten im Megawattbereich in Behältern in Schiffscontainergröße, die die Phelas-Gründer künftig auf dem Gelände von Solarfeldern oder Windparks stehen sehen. Sie sollen dort die Dunkelflaute überbrücken, also überschüssig produzierte Energie einige Stunden oder auch Tage lang für die Zeit speichern, wo kein Wind weht oder keine Sonne scheint. In einem zweiten Schritt könnten die Speicher auch Stromerzeugern oder Industriebetrieben mit großem Strombedarf angeboten werden.
Auch von der Wirtschaftlichkeit ist das Gründerquartett überzeugt. Die Speicher seien kostengünstig in großen Stückzahlen herstellbar und wegen ihrer Normgröße als Schiffscontainer gut transportabel, schwärmt Scholz. Die eigene Innovation sieht er in der Konfiguration des Gesamtsystems. Ultimativ soll auch eine eigene Speicherproduktion aufgebaut werden, was bis zum geplanten Marktstart in fünf Jahren wohl eine zweistellige Millionensumme kosten werde.
Erster Prototyp und Finanzierungsrunde
Erst einmal muss potenziellen Investoren ein funktionierender Prototyp präsentiert und eine laufende erste Finanzierungsrunde erfolgreich abgeschlossen werden. Dafür ist das erste Quartal 2021 angepeilt. „Unsere Technologie ist sehr kostengünstig speziell für große Mengen gespeicherten Stroms“, sagt Scholz. Direkte Konkurrenten gebe es bislang nicht.
Nur das britische Unternehmen High View verfolge einen ähnlichen Ansatz, plane aber den Bau raffinerieähnlicher Großanlagen, die nicht wie bei Phelas skaliert werden könnten. Auch potenzielle Investoren wie die Initiative for Industrial Innovators halten den Ansatz des Start-ups für zukunftsträchtig. Mit einer kleinen Summe fördert sie es bereits und überlegt, in der laufenden Finanzierungsrunde größer einzusteigen.
Die Hälfte des für die nächste Stufe insgesamt nötigen Kapitalbedarfs sei bereits zugesagt, sagt Scholz und ist zuversichtlich, auch den Rest noch an Land zu ziehen. Danach planen die Phelas-Gründer für Ende 2023 mit einem ersten Pilotprojekt und zwei Jahre später mit dem kommerziellen Markteintritt. Auch ein Scheitern ist aber möglich. „Wir haben noch große Hürden vor uns“, räumt Scholz ein. Aber eine Vision treibt ihn an. „Wir wollen erneuerbare Energien weltweit so kostengünstig machen, dass es keinen Sinn mehr hat, Öl zu verfeuern oder Kohle- und Gaskraftwerke zu bauen“, sagt er und spricht dabei auch im Namen seiner Mitgründer.
Wofür steht der Name?
Phelas: Das Wort Phelas setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von power heat electricity liquid air storage zusammen und steht für Energiespeicherung in Flüssigluft. Luft wird bei Temperaturen unter minus 200 Grad Celsius flüssig. Sie über Stunden oder Tage tiefgekühlt zu halten, kostet keine zusätzliche Energie. Dafür sorgen sogenannte kryogene Anlagen mit Isolation für extrem niedrige Bereiche. Die werden in der Raumfahrt oder chemischen Industrie eingesetzt. Luft verbraucht wird im Phelas-System nicht. Sie wird erst verflüssigt, dann aber wieder zum Gas und das sogar in gereinigtem Zustand. Das Gründerquartett des Jungunternehmens peilt gut 50 Prozent Effizienz an. Das bedeutet, dass bei der Verflüssigung von Luft und deren Rückumwandlung in Gas knapp die Hälfte der gespeicherten Energie verpufft. Das klingt nach viel. Gespeichert wird aber erneuerbare Energie, die sonst gar nicht erst erzeugt werden würde und damit zu 100 Prozent verloren ginge. Andere Speichertechniken haben höhere Effizienzen, dafür aber auch andere Nachteile wie höhere Kosten, Explosions- oder Brandgefahr.