Rücktritt von Bundesbankpräsident Weidmann: aus der Welt gefallen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/BPHEJN75MNF43DK4QARGYHK7SY.jpg)
Bundesbankpräsident Jens Weidmann tritt zum Jahresende zurück.
© Quelle: imago images/Hannelore Förster
Frankfurt. Bundesbankpräsident Jens Weidmann tritt überraschend ab. In einem Abschiedsbrief an die Belegschaft der Behörde formuliert der scheidende Präsident noch einmal sein Credo: Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik sei dauerhaft nur möglich, wenn sie „ihr enges Mandat achtet und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerät“.
Das lässt sich als Mahnung an den Nachfolger oder die Nachfolgerin lesen: Die Europäische Zentralbank (EZB) soll sich strikt am Ziel einer niedrigen Inflation – so um die 2 Prozent – orientieren, und die Spitze der Bundesbank soll sich gefälligst dafür einsetzen. Weidmann selbst hat jahrelang im Rat der EZB für diese Position gekämpft – am Ende vergeblich.
Die EZB, die sich eigentlich „nur“ um die Geldpolitik kümmern soll, ist in den vergangenen Jahren zum bestimmenden Faktor der Finanzpolitik geworden. In der Euro-Krise hat der damalige Notenbankchef Mario Draghi den Euro gerettet, als die nationalen Regierungen sich wegen Uneinigkeit handlungsunfähig gemacht hatten.
Seither hat die EZB ihre dominierende Rolle sogar noch weiter gestärkt. Die anhaltende Null-Zins-Politik hat in der Pandemie Millionen von Arbeitsplätzen gerettet, weil die Euro-Staaten in der Lage waren, mit zusätzlichen Staatsschulden zu niedrigen Zinsen Unternehmen und Arbeitsmärkte zu stabilisieren.
Weidmann spricht in seinem Abschiedsbrief von „zahlreichen geldpolitischen Notmaßnahmen“, die mit „erheblichen Nebenwirkungen“ verbunden gewesen seien und das „Koordinatensystem der Geldpolitik“ verschoben hätten. Da hat er recht.
Waren Weidmanns Mahnungen begründet?
Und jetzt haben wir hierzulande eine Inflationsrate von mehr als 4 Prozent. Waren Weidmanns Mahnungen also begründet?
So einfach ist die Sache auch wieder nicht. In der vergleichsweise kurzen Geschichte des Euro gab es bereits Null-Zins-Phasen, die mit Nullinflation oder sogar sinkenden Preisen einhergingen.
Das ist in der Gedankenwelt der Bundesbanker eigentlich gar nicht vorgesehen und deutet darauf hin, dass das Grundschema der Behörde, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Inflation und Zinsniveau unterstellt, nicht mehr stimmt.
Das bedeutet: Das Koordinatensystem der Geldpolitik muss ohnehin neu justiert werden. Dabei wird die Finanz- und Wirtschaftspolitik der nationalen Regierungen und der EU-Kommission eine entscheidende Rolle spielen. Das ist im Prinzip nichts Schlimmes, wie ein Blick in die USA zeigt. Dort hat die Notenbank Fed ausdrücklich den Auftrag, bei ihren Entscheidungen auch die Konjunktur und Arbeitsmärkte zu berücksichtigen.
Die EZB wird auf absehbare Zeit die Aufgabe haben, die gigantischen Investitionen, die in der Euro-Zone für Digitalisierung und Klimaschutz notwendig werden, abzusichern. Das geht dauerhaft nur mit einer Fortführung der Strategie der extrem niedrigen Zinsen.
Das ist nicht mehr Weidmanns Welt. Sein überraschender Rücktritt ist deshalb bei längerem Nachdenken gar nicht mehr so überraschend.