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Sellerieschnitzel für den Rocker – gelingt die grüne Agrarwende?

Agrarminister Cem Özdemir und Umweltministerin Steffi Lemke bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.

Agrarminister Cem Özdemir und Umweltministerin Steffi Lemke bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.

Hannover. Der langhaarige Rocker liebt neuerdings Sellerieschnitzel – jedenfalls behauptet das Edeka. „Hauptsache, es schmeckt dir und der Umwelt“ ist seit Montag die Kernbotschaft des Handelskonzerns, der in seinem neuen Werbespot einen veganen Lebensstil anpreist und Kunden zu verantwortungsbewusstem Einkaufen animieren will.

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Wie sich das mit den wöchentlichen Sonderangeboten an der Fleischtheke verträgt, bleibt das Geheimnis der Marketingleute. Die neue Bundesregierung jedenfalls geht offenbar nicht davon aus, dass allein Appelle an das Gewissen der Kundinnen und Kunden für eine nachhaltige Ernährung reichen werden. Nicht weniger als eine „Neuausrichtung der Agrarpolitik“ sei dafür nötig, sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Sie fasst ein heißes Eisen an: die Liebe vieler Deutscher zu günstigem Schnitzel und billiger Wurst.

Lemke weiß, dass sie Widerspruch produzieren wird. Bei den Bauern, den Sozialverbänden, dem Boulevard. Aber ihr bleibt keine Wahl. Dutzende Studien zeigen, dass Tierhaltung und Ackerbau in in ihrer derzeitigen Form schlecht für Grundwasser, Insekten und Klima sind. Und die Grünen haben sich bei ihrem Regierungseintritt vorgenommen, daran endlich etwas zu ändern.

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Umweltministerin Lemke hat im Vergleich zu ihrer Amtsvorgängerin Svenja Schulze von der SPD einen Vorteil: Im Landwirtschaftsministerium verteidigt nicht mehr die CDU-Politikerin Julia Klöckner die Interessen der Bauern. Stattdessen sitzt dort mit Cem Özdemir nun ein grüner Parteifreund.

Auftritt verläuft betont herzlich

Der erste gemeinsame Auftritt der neuen Kabinettskollegen am Dienstag verläuft betont herzlich. Der Dauerzoff um den Schutz von Insekten, Gewässern und Mooren soll nach Willen Lemkes und Özdemirs der Vergangenheit angehören. Künftig werde es eine „Hausfreundschaft“ zwischen den beiden Ministerien geben, kündigt der grüne Agrarminister an.

Es folgte eine Aufreihung der aus dem Koalitionsvertrag bekannten Ziele. Lemke und Özdemir wollen den Pestizideinsatz reduzieren, die europäische Agrarförderung auf Nachhaltigkeitskriterien umstellen und den Anteil des Ökolandbaus von derzeit zehn auf 30 Prozent der Flächen im Jahr 2030 erhöhen. Dafür soll unter anderem die öffentliche Hand bei der Auftragsvergabe für Kantinen und Mensen auf Bio-Kriterien achten.

Nicht gegen, sondern mit den Bauern wollen die beiden Grünen-Politiker die Neuerungen angehen. „Nur gemeinsam mit der Landwirtschaft kann man mehr für die Umwelt erreichen“, sagt Özdemir. Lemke macht zwar die Ansage, dass der Pestizideinsatz zum Schutz der Insekten gesenkt werden müsse, stellt aber gleichzeitig eine Belohnung für die Landwirte in Aussicht. „Natur und Klimaschutz müssen honoriert werden“, verspricht sie.

Wie das konkret aussehen könnte, macht ihr Kabinettskollege beim Thema Tierhaltung deutlich: Özdemir, der „Ramschpreisen“ für Fleisch ein Ende setzen will, kündigt an, sich an den Vorschlägen der sogenannten Borchert-Kommission orientieren zu wollen. Das Gremium hatte unter anderem eine „Tierwohl-Abgabe“ auf Fleisch und Milchprodukte ins Spiel gebracht, deren Einnahmen direkt an die Landwirte fließen sollen, um etwa tierfreundlichere Ställe zu finanzieren. Etwa vier Milliarden Euro werden dazu laut Kommission jährlich benötigt.

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40 Cent pro Kilogramm Fleisch müssten Verbraucherinnen und Verbraucher draufzahlen. Bei einem Fleischkonsum von 60 Kilogramm im Jahr bedeutet das um die 25 Euro Mehrkosten für einen durchschnittlichen Haushalt. Özdemir kündigt an, dass sich SPD, Grüne und FDP um sozialen Ausgleich bemühen wollen. „Da arbeiten wir gerade mit allen Partnern in der Koalition dran“, so der Landwirtschaftsminister.

Dass sich Özdemir an der Borchert-Kommission orientiert, bringt ihm am Dienstag ein Lob des Deutschen Bauernverbandes ein. „Wir wollen diesen Weg mitgehen“, sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir brauchen Rechtssicherheit und Planungssicherheit“, betont er zugleich.

Der milliardenschwere Finanztopf etwa müsse jetzt geschaffen werden, auch sollten gesetzliche Standards für Ställe nun für mindestens 20 Jahre fixiert werden – weil sonst Umbauten für Landwirte schlicht zu große ökonomische Risiken bergen, so Rukwied.

Der Borchert-Plan hat aus Sicht der Bauern einen großen Vorteil: Die sowohl von Politik als auch von Umweltverbänden wegen ihrer Marktmacht kritisierten Handelsketten bekämen von den zusätzliche Einnahmen nichts ab. Das wird denen kaum gefallen, eine große Gewinnmarge allerdings haben Fleischprodukte auch bislang nicht gehabt. Das unterscheidet sie übrigens von veganen Produkten, die die Handelsketten dieser Tage so fleißig bewerben.

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