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Stadtflucht

Wieso die Corona-Pandemie uns aufs Land treibt

Wohnungsbau auf dem Land kommt immer mehr in Mode.

Wohnungsbau auf dem Land kommt immer mehr in Mode.

Ein eigenes Haus mit Garten, viel Platz, viel Natur – Laura L.* ist sich heute sicher, 2013 eine „ziemlich gute“ Entscheidung getroffen zu haben: Die Göttingerin verließ die Stadt, zog aufs Dorf und pendelte fortan an ihre Arbeitsstätte im Stadtgebiet. Als Corona kam, ging sie wie so viele ins Homeoffice – und konnte sich so einen Großteil der Fahrerei sparen. Dass das geht, merken dieser Tage immer mehr Berufstätige in Deutschland. Längst ist deshalb die Rede von einem Trend zur Stadtflucht, der von der Pandemie beschleunigt wird.

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Dabei ging die Entwicklung 200 Jahre lang in die entgegengesetzte Richtung: Wohnten im Jahr 1800 noch 5 Prozent der Deutschen in Städten, waren es 2019 gut 77 Prozent. Schließlich brauchten Fabriken und Büros Arbeitskräfte, während die industrialisierte Landwirtschaft immer weniger Menschen eine Lebensgrundlage bot. Erst in den vergangenen zehn Jahren verlangsamte sich der Trend entlang von Statistiken der Weltbank etwas – das Leben auf dem Land kam offenbar wieder in Mode.

Matthias Günther vom Eduard-Pestel-Institut ist davon jedenfalls überzeugt. Von Hannover aus beobachtet Günther schon länger, dass sich wieder mehr Menschen für das Landleben entscheiden. „Jetzt beschleunigt sich das“, glaubt der Wissenschaftler. Er betont zugleich, dass es zu der Entwicklung noch keine repräsentativen Untersuchungen gibt. „Aber es gibt eben diverse Orte, die plötzlich eine Nachfrage sehen, die wir bisher nicht hatten“, sagt Günther.

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„Trend zur Landlust“

Ähnlich klingt es beim Deutschen Landkreistag. Dort lägen ebenfalls keine empirischen Daten vor. „Unser Eindruck ist aber, dass die ländlichen Räume an Attraktivität gewinnen“, bestätigt Hauptgeschäftsführer Hans-Günter Henneke. Und auch Immobilienmakler registrieren eine Veränderung: „Die Corona-Pandemie hat den Trend zur Landlust weiter verstärkt“, heißt es in der aktuellen Marktanalyse von Engel & Völkers.

Doch die Landlust – wohl nicht zufällig auch der Name eines der auflagenstärksten Magazine in Deutschland – ist ein weit gefasster Begriff: Engel & Völkers sieht vor allem einem Trend zur Suburbanisierung. Demnach ziehen die Menschen vor allem in die Speckgürtel großer Metropolen. „In Zeiten von Corona möchten die Menschen vermehrt ins Grüne ziehen, aber gleichzeitig nicht die Vorzüge des urbanen Lebens und die Sicherheit einer erstklassigen medizinischen Versorgung missen“, so Vorstandsmitglied Kai Enders. Der Preis dafür steigt, längst ziehen die Kosten von Wohnraum in der Nähe großer Städte an.

Auch abgelegene Regionen werden interessant

Günther indes ist überzeugt, dass die Pandemie viel weitreichendere Folgen haben wird: „Jetzt werden Immobilien interessant, die 15 Jahre lang keiner angefasst hat“, berichtet der Wissenschaftler. Denn nun sorge das immer verbreitetere Homeoffice dafür, dass lange Arbeitswege kaum noch abschrecken. Dabei gehe es keineswegs um die dauerhafte Arbeit in den eigenen vier Wänden. „Aber drei Tage wöchentlich im Homeoffice zu arbeiten und nur an zwei Tagen zur Arbeitsstätte zu fahren, das können sich viele dauerhaft vorstellen“, sagt Günther. „Unter dem Strich fährt man bei dem Modell immer noch weniger, als wenn man im Speckgürtel wohnt und täglich pendelt.“

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Sowohl er als auch Henneke und Enders betonen allerdings, dass ländliche Räume schon vor der Pandemie an Bedeutung gewonnen haben. Vor allem die hohen Wohnkosten in Städten und in den Randgebieten der Metropolen haben Günther zufolge in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, das Leben auf dem Land attraktiver zu machen. Bei L. war das ausschlaggebend. „Ich brauchte mehr Platz und wollte weniger Miete zahlen“, schildert sie.

Gutes Internet ist entscheidend

„Wir haben gezielt geschaut, auf welchen Dörfern es gutes Internet gibt“, erzählt L. zugleich über ihre Wohnortwahl – und spricht damit eines der entscheidenden Kriterien für das neue Landleben aus. „Jetzt zahlt es sich für Kommunen aus, früh den Breitbandausbau gestärkt zu haben“, meint Günther. Noch gibt es dabei in vielen Orten aber Probleme mit der Internetanbindung. „Bund und Länder müssen deutlich mehr unternehmen, um Glasfaser und 5G aufs Land zu bringen“, fordert Henneke deshalb.

„Kinderbetreuung vor Ort ist ebenfalls entscheidend“, bekräftigt Günther. Er geht deshalb davon aus, dass weniger Dörfer mit einigen Hundert Einwohnern als viel mehr die Kernorte vom Run auf das Landleben profitieren. „Da hat man Ärzte, Supermärkte, Restaurants. Die Basisinfrastruktur ist da“, so Günther. Doch auch noch kleinere Orte und noch weiter von Städten entfernte Orte könnten ihm zufolge künftig boomen. Immerhin rechnen Mobilitätsexperten damit, dass in einigen Jahren das autonome Fahren Standard ist. Zur von der Pandemie beschleunigten Homeoffice-Welle käme dann noch eine Mobilitätsrevolution hinzu, meint Günther.

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Das Ankommen auf dem Dorf ist leichter geworden

Wie die Neulinge indes auf dem Land ankommen, wird sich noch zeigen müssen. Günther jedenfalls meint, dass es heute weit weniger Vorbehalte gegenüber Zugezogenen gibt – und rät, sich von derartigen Sorgen nicht abhalten zu lassen. „Das soziale Umfeld schaffen sich die Leute selber, gerade über Krippe und Kindergarten geht das schnell“, hat er beobachtet. Die Erfahrung hat auch L. gemacht, die nach fünf Jahren glaubt, gut angekommen zu sein. Dass die Kinder zwischendurch zur Jugendfeuerwehr gegangen sind, habe dabei allerdings auch geholfen.

*Name der Redaktion bekannt

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