Deutschland steht einen Tag still: Wie teuer wird der Streik?
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Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Streiks der Gewerkschaft Verdi (Archivfoto).
© Quelle: picture alliance/dpa
Deutschland dürfte an diesem Montag in weiten Teilen ins Verkehrschaos stürzen, Bahnen, Busse, Flugzeuge und Schiffe stehen größtenteils still. Doch wie viel kostet wohl so ein Streiktag? Eine Suche nach Antworten bei Ökonomen, beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und beim Institut der Deutschen Wirtschaft.
Doch so ist nun mal die Realität: Ganz so einfach ist es nicht. Es gibt keine Möglichkeit, die reellen Kosten eines einzelnen Streiktages zu berechnen, heißt es aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Der Ökonom winkt auf Anfrage ab. Es gibt keine konkrete Zahl, heißt es aus dem Institut der Deutschen Wirtschaft. Aber es gibt dennoch eine Antwort – nämlich, warum diese Berechnung nicht einfach so funktioniert.
Und warum, das erklärt Thomas Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, der dortige Verkehrsexperte. „Ein Großteil der Kosten wird nämlich in keiner Statistik ablesbar sein“, sagt er auf Nachfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Das betreffe zunächst einmal den Personenverkehr. „Die Zeitverluste, die ein Pendler erleidet, wenn er Montag im Stau steht, werden nirgends verbucht, sie sind dennoch real und mengenmäßig relevant“, erklärt er. Ein anderer Punkt seien die Kosten für Unternehmen. Seiner Meinung nach entstehen sie außerhalb der direkt betroffenen Branchen vor allem durch eine Anpassung oder eine Umplanung. Er gibt sogleich ein passendes Beispiel: Er selbst muss am Montag von Köln nach Berlin fahren – damit er nun rechtzeitig zu seinem Termin kommt, reist er bereits am Sonntag an, übernachtet einmal mehr und verursacht so höhere Kosten. „Das kostet meinen Arbeitgeber Geld, wird aber auch in keiner Statistik als Streikfolge auftauchen“, so Puls weiter.
Experte: „Produktionsausfälle unwahrscheinlich“
Der Streik habe sich vor einer Woche bereits abgezeichnet, so der Ökonom. Deshalb hätten die direkt betroffenen Branchen bereits für den einen Tag ihre Prozesse angepasst und Lieferungen umgeplant – doch auch die kosteten Geld, das nirgends verzeichnet wird. Der Streik von Verdi und Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG ist nur für den Montag geplant. Deshalb hält der Experte auch Produktionsausfälle für unwahrscheinlich. Doch nur die seien wirklich messbar.
Privatpersonen wie Unternehmen haben umgeplant – doch läuft dann am Dienstag wieder alles normal? Oder gibt es Produktionsstau? „Wie lange es dauert, bis die Streikfolgen in Form von Verschiebungen abgearbeitet sind, lässt sich nicht pauschal sagen, da das von der Lage im jeweiligen Unternehmen abhängt“, so Puls. Doch gehe er davon aus, dass der Verkehr ab Dienstag 0 Uhr wieder so startet wie gewohnt, da die Züge dann normalerweise dort stehen werden, wo sie am Dienstag abfahren sollen.
Der Streik kostet also – und das weit mehr als Nerven. Doch in Zahlen lässt es sich nicht ausdrücken. Klar ist aber auch: Ein Montag ist teurer als ein Tag am Wochenende. „Da an Werktagen sehr viel mehr Wirtschaftsverkehr stattfindet als an Wochenenden, gehe ich davon aus, dass die Folgen entsprechend höher sind“, gibt Puls zu bedenken.
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Doch gibt es vielleicht Beispiele aus der Vergangenheit? 1992 rief Verdi zu einem unbefristeten Streik im gesamten öffentlichen Dienst auf. Im April und Mai des Jahres legten zwölf Tage lang Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Nahverkehr, bei der Müllentsorgung, bei der Post, Autobahnmeistereien oder Flughäfen ihre Arbeit nieder. Sie wollten damals 9,5 Prozent mehr Lohn und einigten sich schließlich mit den Arbeitgebern auf 5,4 Prozent mehr Geld. Dieser Streik ging als ein besonders teurer in die Geschichte ein. Doch so wirklich messbar war er auch nicht. Puls beschreibt 1992 als Jahr mit dem „stärksten Streikeffekt“. „Pro Arbeitnehmer und Jahr kam es damals zu einem Arbeitszeitausfall von 0,03 Prozent“, erklärt er. Also sind 0,03 Prozent aller Arbeitsstunden eines Arbeitnehmenden 1992 wegen Streiks entfallen. „Aber das ist eben nur der in Form von entfallenen Arbeitsstunden gemessene Wert.“
Streik soll 2014 58 Millionen Euro pro Tag gekostet haben
Ein anderer Ökonom hat sich 2014 hingesetzt, um die Kosten eines Streiks zu berechnen. In dem Jahr legten die Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL für 420 Stunden das Bahnnetz in neun Runden lahm. Damals nannte Michael Bräuninger vom Institut Economic Trends Research in Hamburg aber eine konkrete Zahl: 58 Millionen Euro soziale Kosten würde der Streik pro Tag verursachen. Gleichzeitig relativiert er aber seine Rechnung: „Eine echte Schätzung der Kosten ist kaum möglich“ – denn Kosten wie Komfortverlust, Umplanung oder der Ausfall eines Privatbesuchs seien nicht mit Zahlen zu beziffern. Damit argumentiert er ähnlich wie Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Auch gab Bräuninger zu bedenken, dass viele verschiedene Variablen in seiner Rechnung stecken. So hänge es davon ab, ob man davon ausgeht, welchen Lohn man für die ausgefallene Arbeitszeit ansetzt. Einen durchschnittlichen Lohn oder doch den Mindestlohn, weil einige Reisende vielleicht aus privaten Gründen unterwegs sind und deswegen keinen konkreten Lohnausfall haben?
Bräuninger stellte den Kosten aber auch einen Gewinn gegenüber: Und zwar den Zugewinn an Lohn für Mitglieder der GDL – den bezifferte er mit 55 Millionen Euro. Doch gibt es noch ein weiteres Problem mit der Rechnung: Die Zahl lässt sich nicht auf das Jahr 2023 übertragen. Löhne und Transportkosten sind andere – der Streik ist ein anderer. 2014 fuhren noch 30 Prozent der Züge, und auch Flugzeuge hoben ab.
In Zahlen lassen sich die Kosten des Streiks wohl nicht ausdrücken. Vielleicht aber in Nerven.