Verpflichtende Corona-Tests in Unternehmen: So reagiert die Wirtschaft auf Merkels Vorstoß

Baden-Württemberg, Allmersbach: Ein speziell geschulter Mitarbeiter eines Maschinenbauers führt bei einem Kollegen in einem Testraum einen Corona-Schnelltest durch. Die Unternehmen hierzulande lehnen eine Testpflicht ab.

Baden-Württemberg, Allmersbach: Ein speziell geschulter Mitarbeiter eines Maschinenbauers führt bei einem Kollegen in einem Testraum einen Corona-Schnelltest durch. Die Unternehmen hierzulande lehnen eine Testpflicht ab.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) droht den Arbeitgebern mit einer Covid-Testpflicht. Doch die Unternehmen lehnen dies mit Vehemenz ab und verweisen darauf, dass in den Betrieben schon viel auf freiwilliger Basis getan werde.

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Merkel hatte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“ angesichts steigender Infektionszahlen nicht nur strengere Beschränkungen für Bürger angesprochen, sondern sich auch unzufrieden mit der Lage in den Unternehmen gezeigt. Die Nutzung des Homeoffice sei wieder rückläufig, und es werde nicht ausreichend getestet. Sie hat angedeutet, dass Firmen dazu verpflichtet werden könnten, jedem Beschäftigten, der noch an seinem regulären Arbeitsplatz tätig ist, pro Woche zwei Corona-Tests anbieten zu müssen. Bislang gibt es lediglich die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft, bis Anfang April eine Infrastruktur für die Tests aufzubauen. Merkel deutete in dem Fernsehinterview an, dass dies aus ihrer Sicht bislang noch nicht in ausreichendem Maß geschehen ist.

Nach Merkel-Auftritt bei „Anne Will“: In der Wirtschaft wird Kritik laut

Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), kontert: „Das ist der durchsichtige Versuch von Frau Merkel, nach dem ‚Haltet den Dieb!‘-Prinzip vom eigenen, eklatanten Versagen bei der Test- und Impflogistik abzulenken. Sie sollte zur Kenntnis nehmen, dass gerade die mittelständischen Betriebe seit Beginn der Pandemie massiv in Hygiene und Arbeitsschutz investiert haben“, sagte Jerger dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dazu gehöre auch, dass die Mittelständler selbstverständlich ihren Mitarbeitern überall da Homeoffice anbieten, wo es möglich und sinnvoll ist.

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Der BVMW-Geschäftsführer sieht überdies eine Reihe ungeklärter Fragen: „Wo sollen die schätzungsweise 60 Millionen Tests pro Woche herkommen? Wer übernimmt die Kontrolle der Testergebnisse? Die wichtigste Frage aber ist: Wer trägt die Kosten von schätzungswiese einer Milliarde Euro im Monat?“ Jergers Schlussfolgerung: Bei den Corona-Tests im Unternehmen müsse weiterhin das Prinzip der Freiwilligkeit gelten.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger haut in die gleiche Kerbe: Mit dem ständigen Drohen einer gesetzlichen Regelung werde das Engagement der Unternehmen nicht anerkannt. „Ein Testgesetz schafft nicht mehr Schutz, sondern mehr Bürokratie, mehr Kosten, weniger Eigeninitiative und einen Haufen ungeklärter rechtlicher und organisatorischer Fragen“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Welche Rolle spielt der Arbeitsplatz für die Corona-Infektionslage?

In den vergangenen Tagen wurde unter anderem von Janine Wissler, Vorsitzende der Linkspartei, kritisiert, dass Unternehmen bei der Pandemie nicht ausreichend in die Pflicht genommen werden. Experten gehen davon aus, dass ein größerer Teil der Ansteckungen am Arbeitsplatz geschieht. Hinter vorgehaltener Hand ist zugleich immer wieder zu hören, dass viele Betriebe beim Infektionsschutz nur das tun, was sie unbedingt tun müssen. Hinzu kommt, dass Führungskräfte offenbar aus Misstrauen darauf beharren, dass Beschäftigte am Arbeitsplatz präsent sind, obwohl sie auch im Homeoffice arbeiten könnten.

Radio Bremen meldete am Montag, dass in der Lürssen-Werft 105 Beschäftigte positiv auf Corona getestet worden seien. Bei dem nachgewiesenen Virus handele es sich fast ausschließlich um die britische Mutante. Nach Angaben der Bremer-Werft wird der Betrieb weitergeführt – allerdings würden strenge Hygieneregeln gelten.

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Die Baubranche steht ebenfalls im Verdacht, für die Verbreitung des Virus verantwortlich zu sein. Auf Baustellen wird dem Vernehmen nach vielfach kaum getestet – auch weil es hohe logistische und organisatorische Hürden gibt. Beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie heißt es gleichwohl: Eine Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen habe ergeben, dass 85 Prozent der Betriebe regelmäßig freiwillige Tests durchführten. Eine Sprecherin sagte dem RND aber auch: „Wenn ein Testzwang eingeführt wird, dann muss der Staat die Kosten dafür tragen“. Schließlich entstünden dadurch Verpflichtungen, die die Unternehmen viele Millionen Euro kosten würden. Zudem müsse man bedenken, dass es häufig schwierig sei, ausreichend Testkits zu beschaffen.

Darauf macht Arbeitgeberpräsident Dulger ebenfalls aufmerksam: „Aus den Rückmeldungen unserer Unternehmen wissen wir auch, dass die Testnachfrage so angestiegen ist, dass der Nachschub sich verzögert. So ist mancher Test wohl vielleicht auch im Suez-Kanal stecken geblieben.“

Auch für Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, ist klar, dass Engpässe beim Testen nicht zulasten der Betriebe gehen dürften: „Die breite Resonanz auf den Selbstverpflichtungsappell und die stetig steigende Zahl von mitmachenden Betrieben zeigt, dass es keine gesetzliche Verpflichtung zu Testungen braucht.“

Von Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE, ist Ähnliches zu hören. Seine Branche nehme die Selbstverpflichtung sehr ernst. „Das scheitert aber derzeit oft noch an der ausreichenden Verfügbarkeit der Tests.“

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Handelsverband: Politik muss Glaubwürdigkeit zurückgewinnen

Zu möglichen strengeren Beschränkungen für Bürger sagte Genth dem RND: „Wir müssen bei der Bekämpfung der Pandemie zu zielgerichteten Maßnahmen kommen. Ein möglicher Lockdown sollte intelligent organisiert werden und dort ansetzen, wo die Infektionsgefahr nachweislich am höchsten ist.“ Das sei mehreren Studien zufolge nicht im Einzelhandel. „Insofern hilft es nicht wesentlich weiter, wenn die Ladentüren jetzt wieder flächendeckend geschlossen werden sollten“, so Genth. In einigen Bundesländern sind Geschäfte mit Einschränkungen geöffnet, obwohl die Inzidenzen dort über 100 liegen, was eigentlich die Schließung der Läden – mit Ausnahme des Lebensmittelhandels – bedeuten müsste. Genth sagte: Die Politik müsse ihre Maßnahmen noch einmal gründlich erklären und verloren gegangene Glaubwürdigkeit „mit passgenauen und entschiedenen Maßnahmen zurückgewinnen“.

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