Viel Bäume und ein großes Versprechen
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Bonn mit dem ehemaligen Regierungsviertel bewirbt sich als Nachfolge-Standort der EMA.
© Quelle: picture alliance / Oliver Berg/d
Brüssel. Wenn in Brüssel selbst der „rheinische Frohsinn“ als Argument zitiert wird, kann es sich eigentlich nur um eine Bewerbung handeln. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zog diesen Trumpf als Beispiel für viel Lebensqualität am Rhein am Donnerstag aus der Tasche, als er für das wohl derzeit prestigeträchtigste Projekt der EU warb, dass er in Bonn sehen will: die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA).
In Folge des Brexit zieht die EU-Kommission ihre zentrale Behörde mit rund 1000 hochqualifizierten Experten plus Familien plus jährlich rund 40.000 Fachbesuchern und rund 1000 Kanzleien, Consulting-Agenturen und Pharma-Vertretungen im Umfeld aus London ab. Gesucht wird ein neuer Standort. Die Bundesregierung geht mit Bonn an den Start. „Eine nur auf den ersten Blick ungleiche Konkurrenz“ gegenüber den anderen 18 Bewerberstädten mit klingendem Namen wie Lille (Frankreich), Kopenhagen, Barcelona, Wien oder Brüssel.
Die Ex-Hauptstadt sieht sich als Zentrum einer Kompetenzregion
Bonns Oberbürgermeister Ashik Sridharan hatte sogar die genaue Zähl der städtischen Bäume (rund 30.000) mitgebracht, um den Naherholungseffekt der Metropole am Rhein anzupreisen. Doch in der Endphase der Bewerbungen, die bis Monatsschluss eingereicht werden müssen, zeigt sich immer mehr: Darauf kommt es bestenfalls am Rande an. Die einstige Bundeshauptstadt verwies nicht nur auf das nahegelegene Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), mit über 1100 Spezialisten die größte der insgesamt 50 nationalen Zulassungsbehörden in der EU. Bonn sieht sich als Zentrum einer ganzen Kompetenzregion, die mit Köln, Düsseldorf und Aachen sowie Frankfurt weitaus größere Ausmaße hat und so etwas wie europäische Wissenszentrale für alle Fragen von Arzneimittelforschung, -Sicherheit und Patientenschutz ist. Wolfgang Clement, früherer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sagte am Donnerstag in Brüssel: „Ich sehe nicht, dass an den anderen Standorten eine vergleichbare Konzentration von Wissenschaft und Sachverstand gibt.“ Der SPD-Politiker leitet die Bewerbungskampagne für den bundesdeutschen Standort.
Bonn punktet durch den Umzug der Bundesregierung im Jahr 1999
Natürlich pochen alle Bewerber auf ihre zentrale Lage, die gute Erreichbarkeit aus allen Mitgliedstaaten und ein entsprechendes Ambiente für die Angehörigen und Besucher der EMA-Behörde. Dennoch sticht - nach den ersten Reaktionen zu urteilen - Bonn durch zwei Argumente heraus. Vor wenigen Wochen hatte EMA-Chef Guido Rasi in London seine tiefsten Befürchtungen offenbart: „Wovor ich wirklich Angst habe, ist, dass etwas genau während der Übergangsphase passiert – das ist eine wirkliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit.“ Es geht also um die Frage, wer den Umzug logistisch, vor allem aber weitgehend ohne Arbeitsunterbrechung durchführen kann, weil sich Europas wichtigste Agentur für die Sicherheit von Medizinprodukten und Medikamenten einen mehrwöchigen Ausfall schlicht nicht leisten kann. Der Bundesgesundheitsminister machte aus dieser Furcht am Donnerstag in Brüssel sein vielleicht stärkstes Argument für den deutschen Standort: „Wir haben Erfahrung in der Verlagerung einer ganzen Regierung“, sagte er mit Blick auf die Verlegung der Bundesregierung von Bonn nach Berlin, die seit 1999 weitgehend in der Bundeshauptstadt ansässig ist. Mehr noch: „Wir garantieren der EMA, dass sie auch während ihres Umzugs an den Rhein in jeder Phase auf alle ihre Daten zugreifen und somit laufende Genehmigungsprozesse nicht unterbrochen werden.“
Von Detlef Drewes/dpa