Wirtschaftsforscher Bachmann über Impfstoffbeschaffung: „Nicht genug und nicht früh genug“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/76QQ4WNZ3RCAZEE3XBMO4WV23M.jpg)
Fast gähnende Leere im Impfzentrum – auch wegen Fehlern der Politik?
© Quelle: imago images/Hartenfelser
In Europa und in Deutschland mangelt es an Impfstoff gegen das Coronavirus – womöglich, weil die Bundesregierung und die EU-Kommission bei der Beschaffung Fehler gemacht haben. So sehen es jedenfalls Kritiker wie Rüdiger Bachmann. Der in Deutschland geborene und in den USA lehrende Ökonom hofft wie andere Vertreter seiner Zunft deshalb auf eine wirtschaftspolitische Kehrtwende bei der Impfstoffbeschaffung. Auch wenn er selber zugibt, das Thema zu spät in den Blick genommen zu haben.
Herr Bachmann, es gibt zu wenig Impfstoff auf der Welt und zu wenig in Deutschland – weshalb gerade heftig gestritten wird. Woran liegt es, dass so wenig von dem begehrten Serum im Umlauf ist?
Impfstoffe sind komplizierte Produkte, die man nicht so einfach produzieren kann. Dazu braucht man viel Humankapital und spezialisierte Anlagen. Und was die Vakzine von Biontech und Moderna anbelangt, reden wir auch über eine sehr neue Technologie. Von daher ist klar, dass es bis zur Massenfertigung lange dauert. Aber die Frage ist, ob wir jetzt schon mehr Impfstoffe haben könnten. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dem so ist – wenn man schon früher angefangen hätte, mit großem staatlichen Engagement die unternehmerischen Risiken der Hersteller zu beseitigen. Da ist nicht genug und nicht früh genug etwas unternommen worden.
Sie leben und lehren in den USA, dort sind viel mehr Menschen geimpft worden. Was hat die US-Regierung anders gemacht?
Bei der Impfstoffbeschaffung galt die Devise „koste es, was es wolle“. Hier ist zwar nicht alles Gold was glänzt, gerade was die Engpässe bei der Verimpfung anbelangt. Aber Donald Trump hat sich entschieden, früh, teuer und im großen Stil in das Thema einzusteigen. Letztendlich haben die USA mehr bestellt, höhere Preise gezahlt und eben nicht gefeilscht. In diesem Fall ist die US-Strategie eine ökonomisch sinnvolle Herangehensweise. Die Kosten für Impfstoffe sind im Vergleich zu den volkswirtschaftlichen Schäden der Pandemie gering. Und wenn man nun hört, dass die EU bei der Impfstoffbeschaffung eher geknausert hat, muss man sich fragen, ob das die richtige Entscheidung war. Denn Impfstoffe und bessere Medikamente sind der einzige Weg raus aus der Pandemie.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/C5ZYT5CH5JEJVDRAVPERKGI5S4.jpg)
Rüdiger Bachmann forscht und lehrt an der US-Universität Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana. Sein Schwerpunkt liegt auf der Makroökonomik, also der Frage, wie die Wirtschaft als Ganzes funktioniert.
© Quelle: Matt Cashore/University of Notre Dame
Vertreter der Pharmabranche sagen, dass sie die Produktionskapazitäten nicht so schnell erhöhen können. Warum bezweifeln Sie das?
Natürlich kann man von heute auf morgen keine neuen Kapazitäten aufbauen. Aber ein altes Gesetz der Ökonomie besagt: Je kürzer ein Zeitraum, desto geringer ist die Elastizität – also letztendlich die Möglichkeit der Hersteller, der zunehmenden Nachfrage gerecht zu werden. Das spricht dafür, möglichst früh den Herstellern so viel wie möglich unter die Arme zu greifen. Ob man dann heute mehr Impfstoff hätte, können weder ich noch Pharmaexperten sicher sagen. Aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Und im Zweifelsfall hätte man vielleicht nicht jetzt, aber vielleicht im April mehr Impfstoff.
Nun sind ja nach der Zulassung tatsächlich Ausweitungen der Produktion angekündigt worden. Fühlen Sie sich dadurch bestätigt?
Das hätte man früher haben können, wenn man beispielsweise schon im Sommer den vielversprechendsten Impfstoffherstellern garantiert hätte, dass mindestens die gesamten Produktionskosten ersetzt werden. Es geht darum, unternehmerische Risiken aufzufangen. Denn die haben aus gesellschaftlicher Sicht zu zu geringen Investitionen bei den Herstellern geführt.
Ist es jetzt zu spät, sich als Staat stärker auf dem Impfstoffmarkt einzumischen und für zusätzliche Herstellungskapazitäten zu sorgen?
Es spricht einiges dafür, sich auch mit Blick auf die Zukunft nicht zurückzuhalten. Wir reden viel über Mutationen. Vielleicht brauchen wir bald neue Impfstoffe oder Impfstoffbooster, weil die jetzigen Vakzine gegen die Mutationen nicht ausreichen. Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet, aber es sieht außerdem so aus, als ob gerade die mRNA-Technologie große Potenziale zur Behandlung anderer Krankheiten birgt. Das als Staat zu unterstützen, scheint mir auch eine gute Industriepolitik zu sein. Immerhin sprechen mittlerweile einige Fachleute von einer technologischen Revolution. Als Wirtschaftsstandort beim Thema mRNA eine Führungsrolle zu übernehmen, könnte sich lohnen.
Wie sollte der Staat beziehungsweise die EU-Kommission nun vorgehen? Mittlerweile ist ja sogar die Vergabe der Impfstoffpatente per Zwangslizenz im Gespräch...
Davon halte ich nichts. Das kann man jetzt machen, aber wenn das nächste Mal ein Impfstoff schnell gebraucht wird, hat man ein Problem – weil die Hersteller sich eine solche Entscheidung sicher merken würden. Es ist richtig, dass es den Impfgipfel und weitere Gespräche zwischen Staat und Privatwirtschaft gibt. Wenn es ruckelt, sollte der Staat versuchen zu helfen, etwa wenn es Knappheiten bei Vorprodukten oder Zubehör gibt. Aber vor allem könnte man endlich Geld für zusätzliche Produktion ins Schaufenster stellen. Man könnte beispielsweise ankündigen, bis zu 100 Euro für eine zeitnah gelieferte Impfdose zu zahlen. Mal schauen, wer dann anbeißt.
Aber wäre das nicht auch sehr, sehr teuer?
Das wäre teuer. Aber angesichts der wirtschaftlichen Schäden – die psychischen und sozialen Folgen noch nicht eingerechnet – ist die Schmerzgrenze bei den Impfstoffkosten noch lange nicht erreicht. Im Gegensatz zu vielen anderen Situationen spricht in der Pandemie gerade wirklich alles dafür, nach dem Koste-es-was-es-wolle-Prinzip zu verfahren. Wobei auch wir Ökonomen rückblickend eingestehen müssen, dass wir nicht richtig auf dem Schirm hatten, als im vergangenen Sommer bei der Impfstoffbeschaffung geknausert wurde.