Der Kunde bleibt ein Rätsel

Wie gut wissen Unternehmen, was wir kaufen wollen?

Wie gut wissen Unternehmen, was wir kaufen wollen?

Wohl nie konnte der Kauf von Körperlotion so verräterisch sein wie heute: In den USA kommt ein wütender Vater in die Filiale der Supermarkt­kette Target gerannt und stellt den Geschäfts­führer zur Rede. Er beschwert sich, dass seine Tochter im Teenager­alter mit Coupons für Babykleidung und Kinderbetten überhäuft werde. Wolle man sie etwa dazu verführen, schwanger zu werden? Wie sich zeigte, war die Tochter tatsächlich schwanger. Doch woher wusste der Geschäftsführer früher als der werdende Großvater davon? Die Antwort: Jeder Einkauf der jungen Frau wurde gespeichert. Durch die Analyse der Daten mithilfe von Algorithmen hatte das Unternehmen erkannt, dass sie sich so verhielt wie werdende Mütter zuvor. Die kaufen nämlich mehr Körperlotion – aus Angst vor Schwangerschafts­streifen.

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Beispiele wie dieses werden gern herangezogen, um zu beweisen, wie gläsern der Kunde in Zeiten von Algorithmen und großen Datensätzen geworden ist. Doch schon bei den Kauf­empfehlungen von Amazon oder den Musiktipps des Streaming­dienstes Spotify, die oft so gar nicht passen, merkt man: Die Macht der Algorithmen und der künstlichen Intelligenz (KI) ist überschätzt. KI glänzt mittlerweile etwa bei der Erkennung von Personen auf Bildern oder bei Sprach­übersetzung. Doch wenn es um Marketing und Produkt­empfehlungen geht, liegt die Sache anders. Selbst mit großen Datenmengen zu Konsumenten ist keineswegs garantiert, dass sich Kauf­entscheidungen mithilfe von Algorithmen vorhersagen lassen. Und auch nicht, dass auf den Kunden zugeschnittene Produkt­empfehlungen und Werbung ökonomisch Früchte tragen.

Das zeigte eine Marketing­kampagne von Facebook, die von Forschern um die Psychologin Sandra Matz von der Columbia Business School in einer Studie im Fachblatt „PNAS“ ausgewertet wurde. Mehr als drei Millionen Nutzer bekamen Anzeigen für ein Schönheits­produkt gezeigt, die auf ihre Persönlichkeiten ausgerichtet waren. Die Persönlichkeit – ist man etwa introvertiert oder extrovertiert – wurde dabei über die Facebook-Likes eines Nutzers bestimmt. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass diese Nutzer 50 Prozent mehr kauften als Personen, die die Anzeige zwar sahen, aber nicht auf der Grundlage ihrer Persönlichkeit angesprochen wurden. 50 Prozent klingen viel. Schaut man sich aber die Zahlen genauer an, ist es nicht mehr so beeindruckend. Ohne die personalisierten Anzeigen kaufte im Schnitt einer von 10.000 Nutzern das Produkt. Mit den auf die User zugeschnittenen Anzeigen waren es 1,5 pro 10.000. Eine solche Steigerung der Erfolgsquote mag wirtschaftlich sinnvoll sein. Große Datenmengen und clevere Algorithmen scheinen aber weit davon entfernt zu sein, uns zum komplett gläsernen Kunden zu machen.

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„Viele neue Verfahren sind nicht besser als alte Basis­verfahren“

Das gilt selbst für die neuen und besonders ausgeklügelten Algorithmen, wie eine Studie von Dietmar Jannach, Professor am Institut für Artificial Intelligence und Cybersecurity der Universität Klagenfurt, zeigt. Mit Kollegen schaute er sich verschiedene Vorhersage­algorithmen an, die gezielt auf die Nutzer zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen empfehlen. Dabei verglichen sie neue und ältere Ansätze. Zu den älteren Ansätzen gehörte das Nächste-Nachbarn-Verfahren. „Da schaut man im Grunde nur, inwieweit ein Nutzer einen ähnlichen Geschmack hat wie ein anderer Nutzer“, sagt Jannach. „Und dann empfiehlt man diesem Nutzer, was die ihm ähnlichen Nutzer gemocht haben.“ Solch ein Ansatz ist vergleichsweise simpel. Viel ausgeklügelter sind neuere Deep-Learning-Ansätze. Hierbei bilden künstliche neuronale Netzwerke die Funktionsweise der vernetzten Nervenzellen im Gehirn nach und suchen in großen Datensätzen nach Mustern wie Vorlieben von Nutzern. Der Vergleich von Jannach und seinen Kollegen ergab: „Viele neue Verfahren sind nicht besser als alte Basis­verfahren.“ Und das, obwohl die neuen Ansätze rechnerisch viel komplexer seien.

In manchen Fällen lässt sich das Kaufverhalten ziemlich leicht vorhersagen

Selbst wenn man die Algorithmen immer weiter verbessern sollte, gibt es ganz prinzipielle Hürden. Das macht David Gal, Professor für Marketing an der Universität von Illinois in Chicago, in einer Arbeit im Fachblatt „Consumer Psychology Review“ deutlich. Aus seiner Sicht ist es alles andere als eine Kleinigkeit, Entscheidungen und Verhalten von Menschen vorherzusagen. Zwar haben Verbraucher in einigen Fällen genaue und stabile Vorlieben für bestimmte Produkte. Etwa wenn sie gewohnheits­mäßig zu Biomilch greifen. In solchen Fällen lässt sich das Kaufverhalten ziemlich leicht vorhersagen. Doch viele Entscheidungen sind nicht so stark von Routinen und Gewohnheiten geprägt. „Viele Vorlieben sind vielmehr instabil und verändern sich“, sagt Gal. „Daher ist es schwierig, die Entscheidungen eines Individuums auf der Grundlage seiner früheren Entscheidungen oder der Entscheidungen ähnlicher anderer Konsumenten vorherzusagen.“ Außerdem ließen sich Präferenzen für bestimmte Produkte oft nicht vorhersagen, da sie erst zum Zeitpunkt der Kauf­entscheidung gebildet würden, sagt der Marketing­experte.

So hänge die Wahl eines bestimmten Produkts etwa von der momentanen Stimmung des Verbrauchers ab. Ist man während des Online­shoppings niedergeschlagen, möchte man sich eventuell etwas gönnen und kauft teurere Produkte als gewöhnlich. Solche Gemütslagen, die das Kauf­verhalten beeinflussen, lassen sich nicht von Algorithmen vorhersagen. Zudem haben Menschen zwar allgemeine Vorlieben, zum Beispiel für Qualität oder Benutzer­freundlichkeit, sie haben aber normalerweise keine Präferenz für bestimmte Produkte. „Es ist zum Beispiel unwahrscheinlich, dass Menschen vor dem Kauf eines Toasters eine Vorliebe für ein bestimmtes Modell haben“, sagt Gal. In Zeiten des Internets habe sich das sogar noch verstärkt. Wenn wir im Internet einkaufen, lesen wir gern kurz vor dem Einkauf noch Infos, etwa Produkt­rezensionen. So könnte eine Beurteilung darauf hinweisen, dass man bei einem bestimmten Toaster­modell verschiedene Bräunungs­stufen einstellen kann, bei einem anderen aber nicht. Eigentlich wusste man selbst gar nicht, dass einem das wichtig ist. Man kauft aber nun lieber das Produkt mit den Bräunungs­stufen.

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Gals Fazit: „Der Einfluss solcher kurzfristig eingeholter Informationen macht unsere Entscheidungen zunehmend schwieriger vorhersagbar.“

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