Ein Tweed, den viele liken: Warum der Stoff aus Schottland auf einmal so beliebt ist
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Nur echt mit Siegel: Harris Tweed aus Schottland wird unter strengen Vorgaben hergestellt.
© Quelle: On The Road Again/ Adobe Stock, Electric Egg/Adobe Stock
Es ist schwer, in Schottland eine Gegend zu finden, die nicht für einen Bildband taugen würde – die Inselgruppe der äußeren Hebriden jedenfalls erfüllt definitiv sämtliche Voraussetzungen: Die Küste hier im Nordwesten Großbritanniens fällt an vielen Stellen steil ab ins Meer und bildet einige der dramatischsten Klippenformationen des Landes.
Moorgebiete durchziehen weite Flächen im Inneren der Inseln. Immer mal wieder finden sich feine, weiße Sandstrände, die hier oben im zumeist rauen Klima wohl niemand erwarten würde. Die Äußeren Hebriden sind ein Paradies für Naturfans mit einem Hang zur stressfreien Erholung. Und sie sind die Heimat eines der bekanntesten Stoffe, die das Königreich zu bieten hat: Harris Tweed.
Nike, Chanel, Yves Saint Laurent: Viele nutzen Tweed
Die robusten Ballen aus dickem Wollgewebe, meist mit Karomustern, sind seit Jahrhunderten untrennbar mit der schottischen Kultur verwoben. Viele taten sie schon als altbacken und unmodern ab, vor allem, als die Textilindustrie nach Osteuropa und schließlich nach Asien abwanderte und die Branche begann, sich eher für feinere, dünnere Stoffe zu interessieren. Doch in den vergangenen Jahren erlebte Harris Tweed plötzlich eine Renaissance: in Form von Taschen, Jacken, Mützen, selbst als Elemente auf Schuhen.
Luxusmarken wie Chanel oder Yves Saint Laurent entdeckten den Stoff für sich, auch Outdoor- und Sportlabel wie North Face und Adidas arbeiten immer wieder damit, um in einzelnen Kollektionen Akzente zu setzen. Nikes Tweed-Sneaker werden heute zu Höchstpreisen im Internet gehandelt.
Harris Tweed ist wieder in – dabei hat sich im Grunde vor Ort auf den Äußeren Hebriden kaum etwas verändert. Das Gewebe wird heute wie vor 100 Jahren unter strengen Auflagen handgefertigt, und dies ausschließlich auf den Inseln Lewis and Harris, Uist und Barra. Denn nur dann darf der Stoff die Bezeichnung Harris Tweed tragen und nur dann erhält er das obligatorische Wappen: den Sovereign‘s Orb, den Reichsapfel britischer Monarchen.
Seit 1910 wacht die Harris Tweed Association darüber, dass alles nach Vorschrift läuft. 1993 verabschiedete das Parlament in Westminster sogar ein eigenes Gesetz, um den Begriff Harris Tweed zu schützen. Spätestens dies erwies sich als perfekte Marketingstrategie. Tweed mag es vielerorts geben; echten Harris Tweed nur oben im Nordwesten Schottlands.
Hundedecken aus Harris Tweed
„Viele unserer Kunden überraschen uns mit innovativen neuen Verwendungen für das Gewebe“, sagt Ruth Masson von der Firma Harris Tweed Hebrides. Der Markt für Herrenmode sei nach wie vor stark, aber auch Damenmode sei immer mehr gefragt. Doch vor allem ein Segment wachse: der des Harris-Tweed-Zubehörs. Nicht nur der Kulturbeutel aus dem Material ist heutzutage angesagter denn je, auch für Haustiere ist das Gewebe offenbar nicht zu schade, sind doch auch Hundedecken gefragt.
Und auch im Wohnzimmer ist der Stoff mitunter zu finden – und damit sind nicht ausschließlich Kissenhüllen und Polster gemeint: Mit einem Preis von umgerechnet gut 13.000 Euro soll das Soundsystem Hi-Fi Series 5 mit einer Harris-Tweed-Hülle von Linn das teuerste Harris-Tweed-Produkt sein, das je hergestellt wurde.
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Dank der zahlreichen Schafe entstanden auf Harris viele Tweed-Hersteller.
© Quelle: dpa-tmn
Produziert wird der Stoff wie eh und je. Harris Tweed Hebrides stellt die Schurwollfasern in dem kleinen Dorf Shawbost her und färbt sie individuell. Das Besondere: Nicht der Faden wird gefärbt, sondern die Wollfaser. Meist sind es Erdtöne, immer öfter aber auch durchdringendes Blau oder Rot – die dichten Farben sind ein Teil des Erfolgs von Harris Tweed.
Die Wolle stammt von Schafen der Rassen Cheviot und Scottish Blackface, die beide als sehr robust gelten. Auf der ganzen Insel Lewis and Harris gibt es private Weber, die aus diesem Garn den Tweed von Hand weben. Der Stoff wird anschließend zur Veredelung an die Fabrik zurückgegeben. Erst wenn diese Prozesse gemäß den Spezifikationen des Harris Tweed Acts von 1993 befolgt wurden, vergibt die Harris Tweed Authority das Echtheitssiegel.
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Mit Hand und Fuß: Wie hier in Stornoway wird an vielen Orten der Hebriden Harris Tweed noch so produziert wie vor 100 Jahren.
© Quelle: imago images/Andia
Über Generationen weitervererbt
Iain Martin ist einer der offiziell registrierten Weber. In dem kleinen Ort Kinloch auf der Insel Lewis arbeitet er an einem Hattersley-Domestic-Webstuhl von 1926. Schon sein Vater, seine Großeltern und seine Urgroßmutter hätten Harris Tweed hergestellt, erzählt er Besuchern. Martin ist keine Ausnahme. Auf der ganzen Insel wurden Webstühle und das Handwerk des Webens über Generationen weitervererbt. Auch dies ist eines der Geheimnisse des Erfolgs von Harris Tweed.
Wolle hat viele großartige Eigenschaften.
Ruth Masson,
Harris Tweed Hebrides
„Wolle hat viele großartige Eigenschaften“, schwärmt Ruth Masson. „Sie ist eine natürliche und erneuerbare Faserquelle.“ Wolle sei isolierend, hypoallergen, pflegeleicht und langlebig. Manche bezeichnen Harris Tweed als den „geheimen Aristokraten unter den Stoffen“. Er wirkt auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen plump. Doch der Stoff ist robust, mit seiner individuellen Färbung stets ein Blickfang. Und er behält durch seine Dicke fast immer die Form.
Dabei entstand Harris Tweed ursprünglich aus der Not heraus. Inselbauern entwickelten den Stoff, um sich bei kaltem Wetter und rauen Lebensbedingungen warm zu halten. Der Gräfin von Dunmore, einer prominenten Landbesitzerin, wird die Kommerzialisierung der Industrie im 19. Jahrhundert zugeschrieben. Sie war es, die Harris Tweed an ihre reichen Freunde in London verkaufte. Von dort verbreiteten sich die Karo- und Fischgrätmuster bald im ganzen Land, und schließlich weiter nach Europa. Heutzutage zählen längst auch China, Südkorea und Japan zu den wichtigen Absatzmärkten für das Handgewebte von den Hebriden.