Gärtnerin über Biodiversität: „Der Garten ist wie ein Zoo – man muss nur genau hinschauen“

Wer sich mehr mit den Tieren beschäftigt, die durch den eigenen Garten kriechen, fängt an sie zu mögen.

Wer sich mehr mit den Tieren beschäftigt, die durch den eigenen Garten kriechen, fängt an sie zu mögen.

Was da im Beet krabbelt, interessiert manchen Hobbygärtner und manche Hobbygärtnerin weniger – sondern mehr, wie er oder sie die an seinem Gemüse nagenden Tiere schnell loswird. Gärtnermeisterin Fiona Kiss und Ökogärtner Andreas Steinert haben in ihrem neuen Buch „Wer knabbert da an meinem Gemüse?“ (Löwenzahn Verlag, 22,90 Euro, 192 Seiten) 40 der Tierchen ausführlich porträtiert, die so viele als Plagegeister wahrnehmen. Neben Methoden, sie aus dem Beet zu verbannen, teilen die beiden ihr Wissen zur Bestimmung von Insekten und skurrile Fakten.

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Im Interview sprechen Fiona Kiss und Andreas Steinert darüber, woher sie ihre Empathie für Fressfeinde im Gemüsegarten nehmen, warum sie Schädlinge lieber nicht als solche bezeichnen und wie Hobbygärtner und -gärtnerinnen das Gleichgewicht im Beet fördern können.

Über Schädlinge ärgern sich die meisten Gärtnerinnen und Gärtner. Liest man Ihr Buch, erkennt man zwischen den Zeilen eine Menge Empathie für Tiere, die sich an Ihrem Gemüsebeet bedienen. Wie bringen Sie die auf?

Andreas Steinert: Prinzipiell geht es darum, Zusammenhänge zu verstehen. Kein Viech auf der Welt kann allein leben, also kann man keines ausgrenzen. Tummeln sich keine Blattläuse im Garten, krabbeln dort auch keine Marienkäfer. Ohne Spinnmilben gibt es keine Raubmilben. Jedes Tier hat seine faszinierenden Eigenschaften und eigene Schönheit. Die erschließt sich vielleicht nicht jedem sofort. Aber wenn man sich damit beschäftigt, welche Zusammenhänge es in Gemüsebeeten gibt, dann wird es spannend.

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Fiona Kiss: Das ist wie mit Haustieren. Je besser man seinen Hund oder seine Katze kennt, desto besser versteht man sie. Das sind Lebewesen, die leben mit uns, die teilen mit uns die Welt. Genauso blicken wir auf unseren Gemüsegarten. Da leben wunderschöne, farbenprächtige Tiere drin! Alleine die Vielfalt an Käfern oder Wanzen. Die Leute gehen ins Kino, um sich Filme über die Savanne oder Tiere im Amazonas anzugucken. Aber im Grunde braucht man ja nur rauszugehen in den Garten, der ist wie ein riesengroßer Zoo. Wir empfehlen jedem, mal eine Lupe einzustecken und sich die Tiere im Beet oder in den Sträuchern genau anzuschauen.

Dass es ein Zusammenspiel verschiedener Lebewesen geben muss, klingt erst einmal logisch. Aber wieso bekämpfen dann so viele Menschen Schädlinge?

Kiss: Das was man nicht kennt, macht Angst. Wenn Tiere einem die Ernte wegfressen, werden sie zudem zur Konkurrenz. Außerdem wird leider Gottes seit Jahrzehnten von Ungeziefer gesprochen, das man umbringen muss. Es ist ja auch einfacher, ein Schädlingsmittel zu versprühen, als sich mit den Zusammenhängen in der Natur zu beschäftigen. Nur tötet das Mittel oft auch die Nützlinge.

Gärtnermeisterin Fiona Kiss und Gartenbauingenieur Andreas Steinert verbringen viel Zeit in der Natur – beruflich wie privat.

Gärtnermeisterin Fiona Kiss und Gartenbauingenieur Andreas Steinert verbringen viel Zeit in der Natur – beruflich wie privat.

Steinert: Wir plädieren für ein Umdenken: Was kann ich der Pflanze Gutes tun, statt wie kann ich dem Schädling Böses tun? Seit Jahrzehnten haben wir einseitig gearbeitet, und zwar kräftig gegen die Schädlinge. Wenn wir jetzt bewusster und nachhaltiger wirtschaften wollen, fehlen uns oft die Nützlinge, die uns dabei unterstützen. Es kann ein paar Jahre dauern, das zerstörte Gleichgewicht wieder aufzubauen. Vor 100 Jahren war übrigens alles bio. Das hat auch funktioniert.

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Aus der Pflanzenwissenschaft gibt es da aber von einigen ein Gegenargument. Nämlich, dass Bio-Landwirtschaft nicht effizient genug sei, alle zu ernähren.

Kiss: Ein komplettes Umstellen auf Biolandbau würde nicht von heute auf morgen funktionieren. Durch den ganzen Einsatz von Chemie haben wir alles kaputt gemacht, die Böden und die Nützlinge. Da müssen wir über Jahre wieder zu einem Gleichgewicht finden. Zur Forschung: Es gibt solche und solche Studien. Wir sprechen gerne von nachhaltigem Wirtschaften.

Wenn ich als Landwirt einmal im Jahr ein chemisch-synthetisches Insektizid punktuell einsetzen muss, um eine extreme Verbreitung eines Schädlings einzudämmen, dann kann das in Ordnung sein. Aber der permanente Gebrauch von Pestiziden und das ständige Auslaugen der Böden sind problematisch. Allerdings, das ganze Thema ist sehr komplex, eine einfache Lösung gibt es nicht. Auch Expertinnen und Experten diskutieren kontrovers darüber. Fakt ist: Biolandbau wird die Zukunft sein! Das zeichnet sich auch jetzt schon ab.

Gehen wir gedanklich weg von der Welternährungsproblematik und zurück in den heimischen Garten. Wie kann man dort nachhaltig gärtnern und Schädlinge natürlich bekämpfen?

Kiss: Schädlinge und Nützlinge, da fängt es schon an. In unseren Seminaren sagen wir: Es gibt keine Schädlinge. Im Grunde ist der Garten ein System, in dem es gilt, ein Gleichgewicht herzustellen. Es geht darum, zu lernen, wann man selbst eingreifen muss – und wie. Da unterscheidet sich der Hobbygarten natürlich von einem Gartenbaubetrieb. Biologische Pflanzenschutzmittel oder Nützlinge müssen hier manchmal zugekauft werden. Schnelles Agieren ist wichtig, besonders bei Monokulturen.

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Steinert: Nachhaltigkeit heißt für mich, einen kleinen Kreislauf in den Garten einzubauen. Beispielsweise kann man Pflanzen kompostieren und den Kompost später wieder im Gemüsebeet nutzen. Man braucht Vielfalt, und man braucht Strukturen wie altes Holz oder Wiesen. So fördert man die Biodiversität. Und die hilft, die Viecher unter Kontrolle zu kriegen. Um einschätzen zu können, wann Schädlinge überhandnehmen und ein Eingreifen nötig ist, braucht man Erfahrung. Aber die sammelt man ja nach und nach beim Gärtnern.

Kiss: Außerdem ist es wichtig, zu schauen, welche Pflanzen und Lebewesen am eigenen Wohnort heimisch sind. Es hilft, mit den Nachbarn darüber zu reden. So ist man darauf vorbereitet, welche Insekten und Tiere für den Gemüsegarten zum Problem werden könnten.

Wenn man sich Ihre Philosophie bezüglich des Gärtnerns aneignen will – dann muss man aber schon damit leben, dass ein bisschen was abgefressen wird, oder?

Kiss: Ja, das planen wir ein. Beim Kohlrabi pflanze ich zum Beispiel meist zwei, drei Pflanzen mehr. Beim Salat genauso. Leider Gottes haben die Schnecken den dieses Jahr gar nicht so sehr gefressen. Wir haben viel zu viel Salat, der wächst gerade fürchterlich aus. (lacht)

Fiona Kiss, Andreas Steinert: „Wer knabbert da an meinem Gemüse?“, Löwenzahn Verlag, ISBN: 3706626837, 192 Seiten, 22,90 Euro.

Fiona Kiss, Andreas Steinert: „Wer knabbert da an meinem Gemüse?“, Löwenzahn Verlag, ISBN: 3706626837, 192 Seiten, 22,90 Euro.

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In Ihrem Buch beschreiben Sie einige skurrile Beetbewohner wie Grunzschnecken. Die verteidigen sich mit lautem Rülpsen. Auf welche kuriosen Tiere kann man beim Jäten und Ernten noch treffen?

Steinert: Die Grunzschnecke kommt eher in wärmeren Gegenden wie Südfrankreich vor. Mit Salat wird sie aber immer wieder eingeschleppt und kriecht dann auch durch unsere Beete. Es gibt männliche Wanzen, die haben Vaginaausbuchtungen, falls ihre Artgenossen sie im Liebesrausch versehentlich für ein Weibchen halten. So werden sie nicht von anderen Wanzen mit ihrem Lümmel erdolcht.

Manche Milben ziehen die Jungtiere der Weibchen hinter sich her und sobald die ihre letzte Häutung haben, werden sie begattet. Da geht „Sex and Crime“ wirklich quer durch die ganze Tierwelt. (lacht) In unserem Buch vermitteln wir aber auch viel Wissen zur Bestimmung von Insekten. Das macht doch Spaß, wenn man mit offenen Augen durch die Natur geht.

Kiss: Ja, da habe ich auch ein Erlebnis gehabt. Ich war immer so genervt von den vielen Ohrwürmern im Salat. Früher habe ich die relativ brutal rausgeschmissen. Aber dann habe ich gelesen, dass viele Ohrwurmmütter Brutpflege betreiben. Die lecken die Eier ab, passen auf die Jungen auf und gehen mit ihnen auf die Jagd. Das hat mich begeistert. Ich habe letztens beim Salatwaschen alle wieder aufgesammelt und vorsichtig rausgetragen.

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