Gute Vorsätze zum neuen Jahr: Mit den besten Absichten
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Sport hilft gegen Stress – auch im Winter.
© Quelle: dpa-tmn
Es ist wieder so weit: Jetzt, spätestens aber, wenn am Montag die erste richtige Arbeitswoche nach all den Feiertagen beginnt, soll es anders werden. Wir haben geschlemmt und ziemlich viel gefeiert: auf Weihnachtsmärkten und Adventsfeiern, bei der Silvesterparty und bei Familientreffen. Oft war das schön, in der Masse aber meist etwas viel und womöglich nicht immer ganz so besinnlich wie erhofft.
Jetzt ist die Zeit für eine Bestandsaufnahme. Was sollte im neuen Jahr alles besser werden?
Da haben sich die Deutschen so einiges vorgenommen: Nahezu zwei Drittel wollen – das zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag der DAK-Krankenkasse – ihr Leben 2020 weniger stressig gestalten. Ebenso viele der Befragten gaben an, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu wollen, und planen, sich im Jahr 2020 klimafreundlicher zu verhalten. Außerdem gibt es die Klassiker: mehr Sport treiben, mit dem Rauchen aufhören, den Alkoholkonsum einschränken und weniger Zeit am Smartphone oder Computer verbringen.
Je nach Naturell gehen Menschen unterschiedlich mit ihren Vorhaben um. Manche kündigen ihre Ziele im Familien- und Freundeskreis an – auch, um sich selbst unter Druck zu setzen. Andere hingegen behalten ihre Absichten lieber für sich. Später eventuell eingestehen zu müssen, dass man doch nicht drei Abende die Woche beim Workout geackert hat, erscheint ihnen als zu große Schmach.
Mehr als 11 Millionen Deutsche sind Mitglied in einem Fitnessstudio
In Fitnessstudios und Sportvereinen jedenfalls herrscht jetzt Hochbetrieb. Rund 11,1 Millionen Deutsche sind Mitglied in einem Studio, und Anfang des Jahres schnellen die Anmeldezahlen in die Höhe. In den Kursen wird es eng, weil so viele Menschen – gern im brandneuen Outfit – etwas für ihre Gesundheit und gegen überflüssige Pfunde machen wollen. Nicht immer reicht das sportliche Durchhaltevermögen bis über den Februar hinaus, und irgendwie gibt dann auch der Terminkalender nicht mehr Zeit für Familie oder Freunde her als im vergangenen Jahr. Gut die Hälfte derjenigen, die mit guten Vorsätzen ins neue Jahr gehen, geben dem Onlineportal Statista zufolge nach spätestens zwei, drei Monaten einfach auf. Was läuft da schief? Nehmen wir uns die falschen Dinge vor? Oder nehmen wir sie uns falsch vor?
Eher Letzteres, meint Prof. Sonia Lippke, die an der Bremer Jacobs University den Arbeitsbereich Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin leitet. Grundsätzlich findet sie es durchaus sinnvoll, zum Jahreswechsel gute Vorsätze zu fassen. Allerdings: „Unsere Vorsätze sind oft sehr optimistisch, aber nicht realistisch“, sagt Lippke. Wir seien fast alle Gewohnheitstiere, „es ist deshalb wichtig, konkret zu planen: Wann, wo, wie setze ich meine Pläne um?“ Mit kleinen Tricks sollte man sich selbst helfen, seine Ziele zu erreichen, meint die Psychologin. Wer zum Beispiel regelmäßig ins Sportstudio gehen wolle, sollte das direkt nach der Arbeit einplanen. Wer den Umweg über sein Zuhause macht, gerät nun mal schnell in Versuchung, sich doch aufs Sofa plumpsen zu lassen – und den Abend dann dort zu verbringen.
Der Jahresanfang kann ebenso wie ein (runder) Geburtstag ein passender Moment sein, um innezuhalten und zu überlegen, ob eine Kurskorrektur sinnvoll ist. Doch so verheißungsvoll die Idee sein mag, sich künftig gesünder zu ernähren und nicht mehr bis in die Puppen vor dem Rechner zu sitzen – der Gedanke daran, mehrmals pro Woche zu kochen, statt in der Kantine schnell eine Currywurst zu verschlingen, hat nicht nur positive Effekte: Allein Planung kann auch wieder stressen. Obwohl doch die Deutschen im neuen Jahr Stress vermeiden wollen …
Für Lippke ist der Begriff Stress allerdings nicht nur negativ belegt. Menschheitsgeschichtlich betrachtet hätten uns Anspannung und Konzentration schließlich geholfen. Wenn unsere Vorfahren im Wald einem Bären begegneten, habe der Körper Stresshormone wie Adrenalin ausgeschüttet, das den Körper zum Kampf oder zur Flucht bereit machte, erläutert sie. Heute stressen uns cholerische Chefs oder geschwätzige Kollegen statt hungriger Bären, und in Konfliktsituationen verharren wir trotz erhöhten Adrenalinspiegels meist im Bürostuhl, statt wegzurennen. „Wir bewegen uns zu wenig, so können wir die Stresshormone nicht abbauen“, erklärt Lippke.
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Stress gibt es in vielen Lebenslagen: Hier ärgert sich eine Frau über ihren Computer.
© Quelle: imago images/blickwinkel
Wer seine sportlichen Vorsätze umsetzt, baut also Stresshormone ab. Und wichtiger noch, so Lippke: „Wenn man es schafft, mehr Bewegung in sein Leben zu integrieren, macht das richtig glücklich.“ Man müsse ja nicht gleich zum Hochleistungssportler mutieren wollen. Moderate Bewegung, zum Beispiel jeden Tag nach der Arbeit eine halbe Stunde nach Hause zu laufen, sei weitaus gesünder.
Und das ist die gute Nachricht: Dieser eine Vorsatz genügt eigentlich. Denn wer sich flott bewegt, trinkt in dieser Zeit keinen Alkohol, futtert nicht, baut Stress ab, bringt seinen Kreislauf auf Trab, sitzt nicht vor dem Computer – und hat im Idealfall auch noch ein Familienmitglied oder eine Freundin zum Plausch mitgenommen.
Dennoch bleibt die Frage, ob man sich mental nicht zu viel zumutet. Unser Alltag soll gesünder, sportlicher, familienfreundlicher, klimabewusster sein. Kurz: einfach besser. Es ist aller Ehren wert, im Leben nach etwas zu streben. Doch steckt dahinter nicht auch der Anspruch, dass wir so, wie wir sind, nicht genügen? Dass Selbstoptimierung erste Bürgerpflicht ist? Dass wir permanent an unserem Ich und unserem Körper zu feilen haben?
Der Historiker Jürgen Martschukat wirft einen kritischen Blick auf die Obsession, immer fitter werden zu wollen. In seinem Buch „Das Zeitalter der Fitness“ untersucht er, „wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde“. So lautet auch der Untertitel des Buches.
Das ist eine relativ neue Entwicklung. Die Begriffe Fitness und fit werden erst seit wenigen Jahrzehnten als Synonyme für Sport und Sportlichkeit genutzt. Früher stand das englische Wort für die Fähigkeit, sich in eine bestehende Ordnung einzupassen. Doch im Jahr 2020 ist es selbstverständlich, sich beim Workout fit zu machen, einen Aktivurlaub zu buchen und jeden Morgen zu joggen. „1970 war das so noch kaum denkbar“, schreibt der 54-Jährige, „Wanderurlaube waren etwas für Rentner, und das Windsurfen wurde gerade erst erfunden, der Berlin-Marathon existierte noch gar nicht. Die wenigsten Erwachsenen besaßen ein Fahrrad, und die Zahl der Fitnessstudios in Deutschland und in den USA konnte man an einer Hand abzählen.“
Das hat sich gründlich geändert – von den Anfängen der Trimm-dich-Bewegung in den Siebzigerjahren bis zu den heutigen Angeboten von Sportstudios, die mit großmäuligem Männlichkeitskitsch werben: „Heroes werden nicht geboren. Heroes werden geformt.“ Für Martschukat, selbst passionierter Radfahrer, steht im Zentrum der Fitness „das Prinzip der Arbeit an sich selbst“. Denn: „Das Streben nach Fitness baut auf Individualität, Selbstaktivierung und das Ringen um Erfolg.“
So wie auf dem neoliberalen Arbeitsmarkt jeder Einzelne Selbstverantwortung, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit zu beweisen habe, habe er genau das auch zu zeigen, wenn er trainiere. Schließlich sei jeder aufgefordert, seine Freiheit erfolgreich und auf konforme Weise zu nutzen – und sei es im Sportstudio.
„Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, nicht mit schlechten.“
Zudem ist um die Fitness ein gewaltiger Markt entstanden. Allein 2015 haben sportlich Aktive laut Martschukat in Deutschland mehr als 50 Milliarden Euro für alles rund um den Sport ausgegeben. Auch wer sein Leben entstressen oder achtsamer gestalten will, kann sich, wenn er über die finanziellen Mittel verfügt, Unterstützung kaufen. Das reicht von Ratgebern über Stunden bei Life-Balance-Coaches bis zu Angeboten für ganze Urlaube, in denen Achtsamkeit gelehrt wird.
Klar, weniger stressig zu leben, regelmäßig Sport zu treiben und mehr Zeit mit der Familie zu verbringen ist gut. Doch der Verdacht wächst, dass wir manchmal zu sehr um unsere Befindlichkeit kreisen. Und diejenigen, die allzu verbissen ihre guten Vorsätze umsetzen, können ziemlich nerven. Auch weil sie an das schlechte Gewissen der weniger Konsequenten rühren.
Von George Bernard Shaw stammt das Bonmot „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, nicht mit schlechten“. Auch in diesem Jahr dürfte die Zahl derjenigen, die irgendwann in alte Muster zurückfallen, überwiegen. Das ist aber kein Desaster. Es wird nur eins, wenn man sich deswegen als gescheitert empfindet. Denn die wenigsten haben gelernt, mit dem Scheitern umzugehen.
Vielleicht wäre das mal ein sinnvoller Vorsatz: gelassen zu bleiben. Es einfach mal hinzunehmen, wenn man mit einem Vorhaben keinen Erfolg hat.
RND