Hebamme im Interview: Wie ich die Hausgeburt meines Sohnes erlebte

Die 35-jährige Pauline Westermann arbeitet seit zwölf Jahren als Hebamme. Ihren Sohn Henri bekam sie zu Hause.

Die 35-jährige Pauline Westermann arbeitet seit zwölf Jahren als Hebamme. Ihren Sohn Henri bekam sie zu Hause.

Schildern Sie uns eine aus Hebammensicht gelungene Geburt.

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Am wichtigsten ist für Hebammen und Ärzte, dass Mutter und Kind körperlich unversehrt sind. Speziell uns Hebammen liegt auch am Herzen, dass es der gebärenden Mutter emotional gut geht, dass sie genug Fürsorge bekommt und sich die Aufmerksamkeit nicht allein auf das Baby richtet. In Deutschland betreuen Klinikhebammen meistens mehr als doppelt so viele werdende Mütter wie in anderen europäischen Ländern. Mehrere Frauen teilen sich während der Geburt eine Hebamme.

Das heißt: Die Frau kniet pressend im Vierfüßlerstand und sucht den passenden Atemrhythmus und die Hebamme sagt: Sorry, ich muss jetzt mal schnell ins Nebenzimmer?

So in etwa sieht das aus. Wir Hebammen wünschen uns, dass wir mehr Zeit für jede Geburtenbetreuung bekommen und im Arbeitsalltag weniger fachfremde Arbeiten wie Putz- oder Telefondienste übernehmen müssen.

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Sie sagen, dass sich Hebammen für die emotionalen Belange einsetzen. Geht es einer Mutter unter der Geburt nicht automatisch gut, wenn körperlich alles rund läuft?

Laut Studien wird es für Mütter sehr belastend, wenn die Geburt unvorhersehbar zu einem Notfall wird, auch wenn es gut ausgeht. Es bedeutet einfach Stress, wenn wir die Kontrolle über unseren Körper verlieren und andere über unseren Kopf hinweg entscheiden, dass die Saugglocke oder ein Kaiserschnitt unter Vollnarkose der nächste Schritt sein wird.

Man kann von einer Gynäkologin nicht verlangen, dass sie in der akuten Not mit der Mutter den Kaiserschnitt diskutiert.

Stimmt. Man kann aber auch von keiner Frau verlangen, dass sie sich wie eine Gebärmaschine, wie ein Objekt behandeln lassen will. Die Sicherheit von Kind und Mutter gehen immer vor. Es sind oft nur kleine Gesten, die der Frau im Kreißsaal signalisieren, dass auch ihr seelisches Wohl gesehen wird. Ein Händedruck der Ärztin, ein kurzes Innehalten und Nachfragen, wie sie sich fühlt, ein paar aufklärende und beruhigende Worte – das muss drin sein. Auch nach der Geburt reicht es nicht, die Kaiserschnittnaht oder die Gebärmutter zu kontrollieren, die Frau will aufgefangen werden. Wenn ich merke, dass sie ein Geburtstrauma erlitten hat, muss ich sie schleunigst an Spezialisten verweisen. Leider gibt es nur wenige Anlaufstellen und selten einen sofortigen Termin.

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Sind Geburtstraumata häufig?

Meiner Erfahrung nach werden sie häufiger, weil die Frauen oft schon erschöpft in die Geburt gehen. Sie laufen bis zur letzten Minute auf Hochtouren. Es fehlt die Ruhe vor dem Sturm.

Frauen erhalten heute nicht mehr die familiäre Unterstützung, die ich in anderen Kulturen noch immer erlebe.

Pauline Westermann

Dabei sind die Frauen heute dank Mutterschutz im Vorteil gegenüber den Frauen, die früher bis zur Geburt auf dem Feld arbeiten mussten.

Die Erwartungshaltung der werdenden Mütter an sich selbst ist sehr hoch. Alles muss perfekt sein. Von der dekorierten Tapete im Kinderzimmer bis zum Erziehungsratgeber in Sachen Durchschlafen, der schon auf dem Nachttisch liegt. Hinzu kommt, dass Frauen heute nicht mehr die familiäre Unterstützung bekommen, die ich in anderen Kulturen noch immer erlebe, wo Tanten, Großmütter, Schwestern mit anpacken. In Deutschland leben die Omas oft in anderen Städten, die Freundinnen sind mit ihrem Beruf beschäftigt, mit den Nachbarn sind wir nicht vertraut genug, um ihnen die größeren Kinder anzuvertrauen oder sie einfach zu bitten, für uns einzukaufen.

Nach der Geburt dreht sich der Alltag ja auch erbarmungslos weiter. Es muss gekocht, geputzt, gewaschen werden. Ist ein Wochenbett noch zeitgemäß?

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Die erste Zeit nach der Geburt in Ruhe zu Hause zu verbringen, ist so heilsam. Aber für uns Hebammen ist es schwer, die Frauen im Haus zu halten, ihnen zu vermitteln, dass sie jetzt das Recht haben, sich von der kraftzehrenden Geburt zu erholen. Ich kann alle Nachbarn, Großväter und Omas nur ermutigen, offensiv Hilfe anzubieten. Ich war froh, als mir eine Freundin im Wochenbett eine Suppe vorbeibrachte. Bietet die Schwiegermutter an, mit dem Baby eine Runde im Kinderwagen zu drehen, dann nehmt die Hilfe auch an, liebe Mütter! Und holt Schlaf nach.

Die beiden Großen durchschnitten die Nabelschnur und schauten sich das Blut an.

Pauline Westermann

Wie verliefen Ihre Geburten?

Meine drei Großen bekam ich im Krankenhaus, obwohl ich mich immer nach einer Hausgeburt sehnte, nach zugezogenen Gardinen, Kerzenlicht und Geborgenheit statt Neonlicht und Kliniktrubel. Aber irgendetwas kam immer dazwischen. Zu Anfang war ich nicht entspannt genug und hatte Sorge, dass die anderen Hausbewohner während der Geburt mein Tönen hören. Einmal hatte ich einen Geburtsstillstand und einmal musste die Geburt eingeleitet werden. Erst beim vierten Kind kam alles so wunderbar zusammen, dass ich zu Hause gebären konnte. Dabei spielte bestimmt auch eine Rolle, dass ich mittlerweile so weit war, meiner Kraft und meinem Körper zu vertrauen. Als Henri im Wohnzimmer auf die Welt kam, waren mein Mann und unsere drei größeren Kinder dabei.

Auch die Geschwister haben die Geburt miterlebt?

Sie haben sich das ausdrücklich gewünscht. Weil eine Geburt etwas Natürliches ist, spricht ja auch nichts dagegen. Sie waren acht, sechs und vier Jahre alt, saßen spätabends gespannt unter einer Decke auf dem Sofa. Ich kniete davor und veratmete meine Wehen. Ich hatte sie gut vorbereitet, ihnen Geburtsbilderbücher und Filme gezeigt und vorgemacht, wie laut ich tönen und vielleicht fluchen würde. Wären sie erschrocken oder verängstigt gewesen, hätte mein Mann sie ins Bett gebracht. Sie beobachteten aber neugierig den Geburtsverlauf und als Henri ohne Komplikationen geboren war, küssten sie ihn und die kleine Emilia fragte: “Ist es wirklich wahr, haben wir jetzt ein Baby bekommen?” Die beiden Großen durchschnitten die Nabelschnur und schauten sich die Käseschmiere und das Blut an. Da war weder Angst noch Ekel.

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War die Hausgeburt so erfüllend wie in Ihrer Vorstellung?

Es war unbeschreiblich schön. Vor allem, dass Henri so einen geborgenen Start ins Leben hatte. Das erste, was dieser kleine Mensch sah, roch und spürte, war nicht die Klinikwaage oder das fremde Gesicht einer Ärztin, sondern der warme Körper seiner Mutter. Während die großen Kinder zurück in ihre Betten krabbelten, verbrachten Henri und ich unsere ersten Stunden Haut an Haut. Ich glaube, es ist nicht egal, wie ein Mensch auf der Erde ankommt.

Buchtipps für werdende Mütter, die sich auf die Geburt einstimmen wollen:

Silvia Dürnberger: “Deine selbstbestimmte Geburt im Krankenhaus. Wie du für ein gutes Geburtserlebnis sorgen kannst”. Kösel-Verlag 2019. 20 Euro.

Sylvia Höfer: “Geburt. Was eine Hebamme ihrer Tochter mitgeben würde”. Kösel-Verlag 2019. 12 Euro.

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RND

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