Interaktive Spiegel, Gamification und Muskeln mit Strom trainieren: neue Trends in der Fitnessbranche
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Während der Pandemie trainieren immer mehr Menschen im heimischen Wohnzimmer.
© Quelle: imago images/Addictive Stock
Millionen Menschen haben ihr Sportprogramm seit der Pandemie vom Fitnessstudio oder der Vereinssporthalle in die eigenen vier Wände verlegt. Mit zahlreichen kostenlosen Workoutvideos von Fitnessinfluencerinnen und -influencern, günstigem Trainingszubehör aus dem Internet bis hin zu teuren Fitnessgeräten erlebten Homeworkouts gerade in den Lockdownphasen einen regelrechten Boom. Trotz Wiederaufnahme von Vereinssport und Mitgliedschaften in Fitnessstudios wird zusätzlich auch weiter zu Hause geturnt. Der Sport ist im Wandel.
Trainingswissenschaftler Heinz Kleinöder geht davon aus, dass das Homeworkout künftig eine beliebte Option bleiben wird – ähnlich wie das Homeoffice im Berufsleben. Aus seiner Sicht ist der Trend eine positive Entwicklung: „In Corona-Zeiten haben Menschen ohnehin schon – je nach Studie – bis zu 30 Prozent weniger Sport getrieben. Daher finde ich es gut, dass der Sport nach Hause getragen wurde“, betont der Forscher am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Das heimische Workout könne somit ein guter Ersatz für das Fitnessstudio sein. „Entscheidend ist nicht, wo wir uns bewegen, sondern dass wir uns bewegen“, so Kleinöder. Die Vorteile des Trainings zu Hause, etwa mit kostenlosen Videos auf Youtube und Co., liegen für Kleinöder auf der Hand: „Es ist bequem, weil man nirgendwo hinmuss – und für das Training mit dem eigenen Körpergewicht ist auch nicht viel Geld für Ausstattung nötig.“
Fitnessbikes und interaktive Spiegel
Für Heimgeräte wie die Fitnessbikes der US-Firma Peloton oder die interaktiven Spiegel des deutschen Start-ups Vaha, bei denen Kurse und Trainer im Angebot sind, müssen Sportbegeisterte jedoch tief in die Tasche greifen: Die Kosten liegen teilweise im dreistelligen Bereich. Die Firmen verzeichneten aber dennoch große Wachstumsraten in der Corona-Pandemie.
Unter der Anleitung von digitalen Trainerinnen und Trainern, die auf dem Bildschirm zwischen den Handgriffen des Bikes oder auf dem Spiegel zu sehen sind, radeln und trainieren Nutzerinnen und Nutzer in verschiedenen Kursen, was das Zeug hält.
Fitness mit Gamification
Inzwischen bahnt sich ein weiterer Trend in der Fitnessbranche an, der auch schon in anderen Bereichen wie Beruf, Schule und Marketing zum Einsatz kommt: Gamification. Viele Fitnessfirmen gehen bereits neue Wege und verbinden das Workout mit Gaming-Elementen. So bietet etwa das Münchner Start-up „Fun with Balls“ interaktives Squash an. Dabei schmettern Spielerinnen und Spieler den Ball mit einem Schläger gegen eine interaktive Wand, auf der sie bestimmte Ziele treffen müssen.
So erhalten sie Punkte und können sich mit anderen messen. Auch Spielekonsolen gehen mit dem Trend und bieten Fitnessspiele an – etwa „Ring Fit Adventure“ für die Nintendo Switch, das mit einem speziellen Controller gespielt wird.
Probleme bei analogen Studios
Während die virtuellen Fitnessangebote wachsen, ächzen analoge Studios noch unter den Auswirkungen der Lockdowns. So teilte der Arbeitgeberverband Deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen mit, dass das Vorkrisenniveau frühestens 2023 wieder erreicht werden könne. „Es liegt jetzt an den Fitnessstudios, etwas anzubieten, was man zu Hause nicht haben kann. Ihre Kunden brauchen nach der Pandemie wieder Gründe, sich aufzuraffen und hinzugehen“, betont Kleinöder.
Als Beispiel für ein attraktives Angebot nennt der Sportwissenschaftler etwa die Elektromyostimulation (EMS), bei der man keine Gewichte stemmen muss, um Muskeln aufzubauen. Bei der EMS wird eine Ganzkörperweste getragen, bei der der Strom von den Elektroden über angefeuchtete Pads auf der Haut direkt zu den Nervenenden gelangt. Dabei werden die Muskeln ganz ohne Hanteln trainiert, indem sie durch den Strom kontrahiert werden.
Verletzungsgefahr ist nicht unerheblich
Kleinöder sieht vor allem auch in kompetentem Personal Training eine große Stärke der Fitnessstudios. „Ein Trainer ist nicht ersetzbar. Virtuelle Trainer können keine Hilfestellung leisten oder die Haltung korrigieren“, betont er. So kommt es nicht selten zu Schmerzen oder Verletzungen bei Homeworkouts. „Oft werden in Videoworkouts Einheiten vorgegeben, die mit den Kompetenzen des Trainierenden nichts zu tun haben. Wer keine große Trainingserfahrung hat, kann mit so einem Workout einen absoluten Schiffbruch erleiden“, warnt Kleinöder.
Auch manche Heimfitnessgeräte können ein Sicherheitsrisiko darstellen. So musste Peloton im Mai manche Modelle seiner Laufbänder in den USA zurückrufen, nachdem ein Kind nach einem Unfall mit einer Maschine gestorben war und weitere Unfälle mit der Nutzung der Laufbänder in Verbindung gebracht wurden.
„Ein Training muss Spaß machen, aber auch gut für die Gesundheit sein. Ziel muss es sein, dass wir uns künftig beim Workout mehr an wissenschaftlichen Kriterien orientieren“, empfiehlt Kleinöder.