Raumfahrt: Das sind die Pläne von Deutschland und Europa
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ATIOIZA3GFB2LJAJXY7JEFZ6BU.jpg)
Welche gemeinsamen Raumfahrtprojekte werden die Mitgliedsländer der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) verhandeln?
© Quelle: NASA / Unsplash.com
Berlin. Raketenstarts in Rostock oder Nordholz bei Cuxhaven – nicht wirklich, oder? „Wir brauchen einen unabhängigen Zugang zum All“, betont Andreas Hammer vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie jüngst zur Idee eines Weltraumbahnhofs in Deutschland. Am 27. und 28. November werden die Mitgliedsländer der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) in Sevilla über gemeinsame europäische Raumfahrtprogramme und deren Finanzierung verhandeln.
Eigene Systeme, das sei in der Raumfahrt wichtig, gerade mit Blick auf mögliche „robuste Auseinandersetzungen“, also Krisen und Konflikte, sagt der Koordinator der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek (CDU). „Ich glaube, dass das Potenzial in der Raumfahrt extrem groß ist. Deshalb ist es für uns wichtig, dass wir vorne dabei sind, damit wir hier nicht eine neu entstehende Industrie verschlafen.“
Von Sputnik 1 bis Apollo 11: Die Geschichte der Raumfahrt
Unpolitisch war Raumfahrt nie – und aktuell ist das machtpolitische Gerangel um die Macht im All wieder in vollem Gange. 1957 war der russische Sputnik 1 der erste Satellit im All, zwölf Jahre später standen bei der amerikanischen Apollo-11-Mission die ersten beiden Menschen auf dem Mond. Jetzt wollen Industrie, Politik und zumindest Teile der Wissenschaft die Raumfahrt erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.
Die Bedeutung habe sich allerdings gewandelt, sagt Esa-Chef Wörner. „Sputnik war reines Prestige, Apollo war im Wesentlichen Prestige.“ Die wohl geschichtsträchtigsten Ereignisse der Raumfahrt waren also mehr Politik als Wissenschaft oder Wirtschaft. Das hat sich geändert, wie der Esa-Chef sagt. Heute biete Raumfahrt zum Beispiel entscheidende Infrastruktur, für alle und täglich, etwa bei Navigation und Wettervorhersage.
Plan der Esa: Müll im Weltraum aufräumen
Die Weichen für gemeinsame Raumfahrtprojekte in Europa werden in Sevilla gestellt – doch in welche Richtung? 22 Mitgliedsländer hat die Esa, auf deren Mittel die Koordinierungsbehörde angewiesen ist. Alle zwei bis drei Jahre entscheiden Vertreter der Länder bei Ministerratskonferenzen, wofür es Geld gibt. Dazu schlägt die Esa Programme vor.
Wörner ist insbesondere ein Thema wichtig: Müll im All aufräumen und künftig möglichst vermeiden. Dabei geht es dem Esa-Chef um eine ernste Sicherheitsproblematik: Immer mehr kaputte Satelliten und anderer Weltraumschrott wie ausgebrannte Raketenstufen umkreisen die Erde. Deshalb steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Kollisionen des Schrotts mit funktionsfähigen Satelliten. Wird die Entstehung von Weltraummüll nicht bekämpft, könnten niedrige Umlaufbahnen um die Erde für Satelliten unbrauchbar werden – die Kollisionsgefahr wäre schlicht zu hoch. Die Esa geht schon jetzt von mehr als 900.000 Fremdkörpern aus, die um die Erde schwirren und größer als ein Zentimeter sind.
Entfernung von Weltraummüll keine leichte Mission
„Wir müssen zwei Dinge machen“, sagt Wörner. „Wir müssen erstens alles, was da oben an Schrott ist, runterholen.“ Zweitens müsse geplant werden, wie es sich in Zukunft vermeiden lässt, dass weiterer Schrott entsteht. „Und beides haben wir in dieser Ministerratskonferenz vorgesehen.“
Einfach wird das nicht. Aus technischer Sicht – die Entfernung von alten Satellitenteilen ist hoch anspruchsvoll. Und auch aus politischer, wie Jan Wörner sagt. „Das ist schon nicht trivial, die Mitgliedsländer zu bitten, Geld für etwas zu geben, wo die anderen sagen: Müll ist nicht unser Thema.“
Eine Moralfrage: „Ich sag doch nicht: Nur weil die anderen Dreck machen, mache ich auch Dreck“
Zumindest Deutschland scheint die Brisanz bewusst: „Auch für uns ist die Entfernung von Weltraumschrott zentral“, sagt Raumfahrtkoordinator Jarzombek. Der CDU-Politiker leitet die deutsche Delegation auf der Konferenz. Er spricht sich für ein internationales Regelwerk aus. „Das wollen wir sowohl auf UN-Ebene als auch europäisch und mit den US-Amerikanern in Angriff nehmen, die da momentan auch sehr nach vorne gehen.“
Bisher gibt es keine verbindlichen Regeln im All. Vereinfacht gesagt kann jeder nach oben schießen, was er will. Warum sollten also die Europäer Geld in die Entfernung und Vermeidung von Weltraumschrott stecken? Wörner sieht hier auch eine Moralfrage: „Ich will schon zu den guten Jungs gehören“, sagt er. „Ich sag doch nicht: Nur weil die anderen Dreck machen, mache ich auch Dreck.“
Nasa investiert Milliarden in Elon Musks Raumfahrtunternehmen
Die Esa kann nicht nur Müllabfuhr. Im kommenden Jahr soll die neue Rakete Ariane 6 zum ersten Mal abheben. Über ihren Bau war vor fünf Jahren entschieden worden. Die 60 Meter hohe Ariane 6 soll schneller und günstiger sein als ihre Vorgängerin. Doch reicht das? Der Markt hat sich seit der Entscheidung stark verändert, vor allem das US-Raumfahrtunternehmen Space X des Tech-Milliardärs Elon Musk drückt die Preise.
Große Teile der Raketen des US-Konkurrenten sind wiederverwendbar. Während die Falcon-9-Erststufe wieder auf der Erde landet, bleibt die Ariane 6 ein Einwegprodukt. Allerdings ist – aus europäischer Sicht – auch der Wettbewerb nicht fair: „Elon Musk bekommt Milliarden von der Nasa, um irgendwelche Cargogüter auf die Raumstation zu bringen“, so Esa-Chef Wörner. „Die Frage ist, ob er diese Milliarden tatsächlich für den Service braucht, oder ob er damit kommerzielle Raketenstarts auf dem Markt günstiger anbieten kann.“
Auch für Jarzombek hängen die Leistungen von Space X mit der Finanzierung durch die Nasa zusammen: „Space X hat mehrfach Milliardenverträge von der Nasa bekommen.“ Setze man das in Relation zu den europäischen Budgets, werde klar, dass mit unseren Mitteln nicht die gleichen Möglichkeiten bestünden.
Wörner: Rakete Ariane 6 „ein Erfolg“
An der technischen Qualität der Ariane 6 werde nicht gezweifelt, heißt es. Die Rakete an sich sei ein Erfolg, sagt Wörner. „Wir haben, als wir das Programm aufgesetzt haben, das Ziel gehabt: 50 Prozent Preisreduktion. Das ist viel – und da sind wir jetzt aber.“ Der Produktionsprozess für die neue Rakete ist durch und durch digitalisiert, es wurden komplett neue Verfahren entwickelt. Die Produktion unterscheidet sich grundlegend von der des Vorgängermodells Ariane 5.
Das kann man schon an den Werkshallen für die beiden Raketen in Les Mureaux bei Paris sehen. Sie stehen einen Steinwurf voneinander entfernt und könnten doch unterschiedlicher kaum sein. Während die Ariane 5 in einer Art meterhohem Turm montiert wird, entsteht die Ariane 6 in einem Flachbau – sie wird horizontal zusammengebaut. Das, so der Hersteller ArianeGroup, sei schneller und vor allem auch günstiger.
Billiger fliegen: EU-Institutionen bevorzugen Raketen von Space X
Trotzdem: Der Markt ist aggressiv. Und weil Space X Starts billiger anbieten kann, fliegen selbst EU-Institutionen oft lieber mit einer Rakete des US-Unternehmens – darunter zum Beispiel auch die Bundeswehr, die zuletzt noch plante, drei Spionagesatelliten mit Space X ins All zu befördern. Mitte Oktober hatte der Betreiber Arianespace acht Aufträge für Flüge in den Weltraum. Thomas Jarzombek sagte noch im Juli: „Wir sind unsicher, wie die kommerzielle Perspektive der Ariane 6 aussieht.“
Pierre Godart, Deutschland-Chef des Herstellers ArianeGroup, spricht auch von Sicherheitsaspekten: „Die Raumfahrt findet Anwendung in so vielen wichtigen Bereichen: Wettervorhersagen, Grenzkontrollen, Internet, Netzempfang, Fernsehen und vieles mehr.“ Es handle sich um kritische Infrastruktur. „Wollen wir uns diesbezüglich wirklich von anderen abhängig machen? In der Raumfahrt gilt: ohne Souveränität auf der Startrampe keine Souveränität im Orbit.“
Jedenfalls macht die Rakete zusammen mit der Internationalen Raumstation (ISS) einen guten Teil der deutschen Investitionen in die Esa aus. Beide sollen wohl beibehalten werden. In Zukunft sollen nach dem Willen der Bundesregierung aber verstärkt Mittelständler von Investitionen in die Raumfahrt profitieren. „Wir wollen eine Initiative Raumfahrt-Mittelstand machen“, sagt Jarzombek. Es sei ganz ausdrückliches Ziel, die Perspektiven für den Mittelstand und Start-ups in der Branche zu stärken.
Kaum eine Wissenschaftsmission ohne deutsche oder europäische Technik
In der Gesamtschau seien Deutschland und Europa so schlecht gar nicht dabei. „Es gibt kaum eine Wissenschaftsmission, bei der nicht am Ende auch deutsche oder europäische Technik mit an Bord ist“, so Jarzombek. Ein aktuelles Beispiel ist ein riesiger Zylinder mit dem sperrigen Namen „European Service Module“. Das ESM mit einem Durchmesser und einer Höhe von jeweils etwa vier Metern ist Teil des Raumschiffes „Orion“, mit dem die USA 2024 wieder Menschen – diesmal auch eine Frau – zum Mond schicken wollen. Das ESM wird in Bremen gebaut. Man müsse allerdings auch sagen, „dass die Amerikaner einfach ein sehr, sehr, sehr viel größeres Budget haben“.
Für den Wissenschaftler Klaus Schilling ist am Ende nicht nur mehr Geld entscheidend: „Man kann auch mit Schwerpunktsetzungen und einer guten Umsetzungsstrategie in wichtigen Nischenbereichen eine Marktführerschaft anstreben.“ Beispielsweise sei beeindruckend, wie Luxemburg strategisch geschickt mit seinem begrenzten Budget ganz gezielt neue Raumfahrtsegmente aufgreife. Das Land hatte bereits 2017 ein Gesetz zum Weltraum-Bergbau erlassen. „Wenn kein größeres Finanzvolumen möglich ist, dann sind umso mehr Kreativität und eine gute Strategie gefragt“, sagt Schilling vom Bereich Robotik und Telematik der Universität Würzburg. Er arbeitet unter anderem an Robotik-Produktionsmethoden für größere Stückzahlen von Satelliten.
Noch keine konkurrenzfähige Raumfahrtfabrik in Deutschland – mehr Unterstützung benötigt
Schilling sieht einen Rückfall Europas und insbesondere Deutschlands im sogenannten New-Space-Sektor. „Die staatlichen Raumfahrtinstitutionen in den USA unterstützen die zukunftsorientierten und durchaus wagemutigen Investoren bei dem Einstieg in die sich abzeichnenden Zukunftsmärkte“, sagt er. „Hier ist man in Europa und Deutschland leider weiterhin viel zu zögerlich und hat keine klare strategische Ausrichtung, wie die Zukunftsmärkte erschlossen werden sollen.“
Neue Satellitengenerationen werden nicht mehr wie früher in Handarbeit hergestellt, sondern müssen wegen ihrer hohen Stückzahlen weitgehend automatisiert produziert werden. „Eigentlich hat Deutschland hier durch Industrie 4.0 im weltweiten Maßstab besondere Stärken, aber dennoch steht noch keine konkurrenzfähige Raumfahrtfabrik in Deutschland“, so der Experte. Am Potenzial scheitert es für Schilling also nicht. Stattdessen müssten die richtigen Weichen gestellt werden. Das könnte in Sevilla passieren, vielleicht.
RND/dpa