Schmerzkörper: Warum Lust und Schmerz für viele Menschen zusammengehören
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Streit in der Liebe: Für manches Paar ist das Alltag – sie können den Teufelskreis aus Lust und Schmerz nicht durchbrechen.
© Quelle: skynesher/iStockphoto
Hamburg. Es ist kaum zu verstehen, warum gerade an der Stelle, wo es angeblich am meisten Liebe gibt – in romantischen Beziehungen nämlich – doch so unfassbar viel Schmerz entsteht. Warum ist das so? Ein Thema, über das man viel diskutieren und noch mehr Bücher schreiben kann. Offensichtlich. Ich denke, es lässt sich am besten mit zwei Dingen beschreiben: Wir stecken (noch) voller Trauma aus diesem Leben, unserer Familie und der Gesellschaft. Und wir sind nicht wirklich verbunden mit unserer Essenz, die eigentlich Liebe ist.
Schmerz und Lust sind zwei Seiten einer Medaille
Diese beiden Punkte sind vermutlich sogar einer. All das Trauma in uns kreiert das, was der spirituelle Lehrer Eckhard Tolle den Schmerzkörper nennt. Ein eigenes Feld in uns, fast wie ein eigenes Wesen, was seine Existenzberechtigung nur durch weiteren Schmerz erhält. Ohne diese immer neue Zufuhr von Schmerz könnte dieser Teil nicht überleben, was er aber will. Und dafür braucht er immer neue Schmerznahrung.
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Christian Hemschemeier ist Paartherapeut in Hamburg und Experte in Sachen Dating, Partnerschaft und Liebe.
© Quelle: Privat/Patan
Auch in der Forschung zeigt sich, dass Schmerz und Lust durchaus Parallelen aufweisen, bei Schmerz insbesondere in der Schmerzreduktion aber auch in der Antizipation von leichten Schmerzen wie zum Beispiel bei bestimmten BDSM-Praktiken im sexuellen Bereich. Im Schmerz “spüren” wir uns, wir fühlen uns, die manchmal unerträgliche innere Leere verschwindet. Im zwischenmenschlichen Bereich zeigt sich Schmerz auch oft im alltäglichen Drama, wenn man immer wieder die Reibung sucht mit dem Partner. Wobei Reibung hier eher im negativen Sinne gemeint ist – in Form von Streit etwa.
Im Schmerz “spüren” wir uns, wir fühlen uns, die manchmal unerträgliche innere Leere verschwindet.
„Rache ist süß“: Warum Zurückschlagen inzwischen „oldschool“ ist
Wie sieht das aber nun aus, wenn wir im Schmerzkörper sind, oder auch im Ego, was manchmal recht eng miteinander verwoben ist? Nun, der Partner macht oder sagt vielleicht etwas, was uns sehr verletzt. Diese “Attacke” des Partners setzt nun auch uns in den Kampfmodus. Manche kämpfen dann mit Selbstabwertung, oft aber haben wir den Wunsch auf irgendeine Weise zurückzuschlagen.
Das muss gar nicht wörtlich gemeint sein, dass kann auch eine gemeine Replik oder auch passiv-aggressives Verhalten sein, wie etwa beleidigtes Schweigen. Dieses Zurückschlagen fühlt sich sehr verführerisch an, im Sinne des Sprichworts “Rache ist süß” inklusive des manchmal rauschhaften kurzen Vergnügens und des Gefühls: “Das hat der Andere verdient”. Diese Art des Umgangs ist aber inzwischen ziemlich “oldschool”. Wir haben das jahrzehntelang, jahrhundertelang so gehandhabt. Aber eigentlich wollen wir weiter, wollen aus diesem Kreislauf heraus. Viele zumindest!
Wunden wollen sichtbar gemacht und geheilt werden
Dafür ist es notwendig einzusehen, dass unser Schmerzgefühl nur unsere eigenen Wunden aufzeigt. Wunden, die angeschaut werden wollen, ganz in Ruhe. Und vor allem endlich geheilt werden wollen. Natürlich dürfen und sollten wir Grenzen setzen, wenn wir verletzt werden. Auch ganz klare Grenzen in der Selbstliebe. Aber das verbale Hauen und Stechen, das “Wer hat Schuld”-Spiel, wollen wir da nicht eigentlich heraus?
Es ist notwendig einzusehen, dass unser Schmerzgefühl nur unsere eigenen Wunden aufzeigt.
Auch wenn es schwerfällt: Wenn uns ein Anderer das nächste Mal mit seinem Verhalten, einem gesprochenen Wort oder ähnlichem verletzt, sollten wir zunächst kurz innehalten und die Situation buchstäblich verlassen. Denn sobald wir mit dem Schmerzkörper verbunden sind, möchten wir uns rächen. Wollen wir aber etwas über uns und unsere inneren Wunden erfahren, sind es genau solche Situationen, in denen wir lernen können und dürfen. Je öfter es uns gelingt, diesen einen Moment abzuwarten, durchzuatmen und uns einen Augenblick Zeit zu nehmen für die Innenschau, umso besser werden unsere Wunden sichtbar. Und Sichtbarkeit ist der allererste Schritt, um sie zu heilen.
Der Autor und seine Kurse sind zu erreichen über www.liebeschip.de. Christian Hemschemeiers Buch „Der Liebescode“ (Luther Verlag) ist 2019 im Handel erschienen.