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Tanzend Mathematik lernen

Warum sich nicht auch mal einen mathematischen Bruch ertanzen? Das bringt nicht nur Bewegung in den Unterricht, sondern hilft auch dabei, das Gelernte zu verinnerlichen.

Warum sich nicht auch mal einen mathematischen Bruch ertanzen? Das bringt nicht nur Bewegung in den Unterricht, sondern hilft auch dabei, das Gelernte zu verinnerlichen.

Würzburg. Ein Klassenzimmer voller stehender neunjähriger Grundschüler. Alle machen Verrenkungen und zeigen mit den Armen in sämtliche Richtungen. Nein, wir sind nicht in der Eurythmie-Stunde einer Waldorfschule, sondern in einem wissenschaftlichen Experiment der Bildungsforscherin Carmen Patrick Smith. Geometrie steht auf dem Stundenplan.

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Die Wissenschaftlerin von der Universität Vermont in den USA hat herausgefunden, dass Schüler besser lernen wie Winkel funktionieren, wenn sie den abstrakten mathematischen Konzepten eine körperliche Realität verleihen. Untersucht wurde, wie gut Schüler in einer Geometrie-Tanzstunde lernten, wie Winkel gemessen werden. Außerdem sollten die Schüler ihr Winkelverständnis nicht nur still stehend mit den Armen oder Beinen unter Beweis stellen, sondern auch dynamisch durch Körperdrehungen. 20 Drittklässler nahmen an dem Experiment teil. Dabei standen die Schüler für etwa 15 bis 20 Minuten vor einer Leinwand, während ihre Bewegungen von einem Microsoft-Kinect-System aufgenommen wurden. Mit Unterstützung eines Experimentbetreuers erkundeten die Schüler, wie sich ihre Bewegungen auf der Leinwand auswirkten.

Winkelmessen mit Bewegung

Im ersten Teil des Versuchs änderte sich zunächst nur die Farbe der Leinwand entsprechend der Winkelgröße, die die Schüler darstellten. Im zweiten Teil erschienen darüber hinaus Linien, die genau den Winkel zeigten, den der Proband mit seinen Gliedmaßen nachstellte. Zuletzt wurde ein projiziertes Winkelmessgerät an den Winkel angelegt. Dem praktischen Teil des Experiments war ein kleiner Test auf Papier vorausgegangen – die Aufgabe der Schüler: Winkel zum einen der Größe nach ordnen und zum anderen mit vorgegebener Winkelzahl schätzungsweise zeichnen.

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Das Ergebnis war eindeutig: Nach nur 15 bis 20 Minuten Mathe-Tanz gaben die Schüler beim Winkelschätzen im Durchschnitt 24 Prozent mehr korrekte Antworten als vor dem praktischen Teil des Experiments. Außerdem gab es einen nahezu signifikanten Verbesserungstrend beim Winkelzeichnen mit vorgegebener Winkelgröße. Dabei zeigten die Schüler die größten Lernfortschritte, die die Verbindung zwischen den Farben auf der Leinwand und ihrer Armstellung am schnellsten verstanden hatten. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher im „Journal of Mathematical Behaviour“.

Mathe verstehen mit Metaphern

Bildungsforscherin Smith und ihre Kollegen sehen in den Ergebnissen die Bestätigung der These von Lernpsychologen wie Jean Piaget: dass kognitive Prozesse, wie das Erlernen abstrakter Konzepte, nicht unabhängig vom Körper geschehen. Insbesondere passten die Beobachtungen zu den Theorien des Berkeley-Linguisten George Lakoff. Er vermutete, dass mathematische Konzepte nur über Metaphern in der Wirklichkeit verstanden werden können. Auch in Deutschland ist der mathematische Tanz mittlerweile angekommen. So bildet der Verein LTTA – Lernen durch die Künste e.V. seit 2008 Künstler und Lehrer darin aus, Unterrichtsinhalte über die Künste zu vermitteln. „Dafür treffen sich Lehrer und Künstler für bestimmte Unterrichtseinheiten zu einem Seminar, bei dem sie gemeinsam einen Unterrichtsplan entwerfen“, sagt Dr. Petra Weingart, Initiatorin des Projekts und beim Verein verantwortlich für die pädagogische Programmentwicklung. „Danach kommt der Künstler über mehrere Wochen hinweg immer wieder mit in den Unterricht und hilft den Schülern, die Inhalte mit künstlerischen Mitteln zu verinnerlichen.“

Positive Wirkung des tanzenden Lernens

Gerade das Tanzen sei beim Erlernen mathematischer Inhalte hilfreich. Für die Bruchrechnung in der Grundschule etwa würde die Klasse in verschieden große Gruppen geteilt, z. B. eine Dreier-, eine Vierer-, eine Fünfergruppe und so weiter. Bestimmte Posen, die die Schüler sich selbst ausdenken, symbolisieren dann einen Bruch durch die Gruppe: Wenn beispielsweise drei Schüler der Siebenergruppe sich hochstrecken und die übrigen vier sich im Kreis drehen, sind das etwa die Brüche drei Siebtel und vier Siebtel.

„Viele Leute fragen mich mit einem irrgläubigen Schmunzeln, ob die Schüler auch ihre Namen tanzen“, sagt Weingart in Anlehnung an die Waldorf-Pädagogik. „Dabei ist LTTA nicht nur eine pädagogische Philosophie, sondern erhöht messbar die akademischen Leistungen.“ Tatsächlich bescheinigte auch die einjährige Evaluation des Instituts für Psychologie der Universität Würzburg die positive Wirkung des tanzenden Lernens. Dabei begleiteten Psychologen um Prof. Dr. Hans-Peter Trolldenier, Leiter des Instituts für Psychologie IV der Universität Würzburg, insgesamt 14 dritte Klassen im Raum Würzburg. Für sieben der Klassen gab es für die Dauer eines Schuljahres künstlerisch unterfütterte Lehreinheiten, drei davon mit mathematischen Inhalten. Am Ende des Jahres stand fest: Schüler, die sich Brüche, Winkel oder Wahrscheinlichkeitsrechnung auch ertanzten, merkten sich die Bedeutung der Konzepte besser als Mitschüler, die nur über ihre Hefte gebeugt lernen.

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Ein Lernkonzept für alle Schulen?

Derzeit wird das künstlerische Lernen an 23 Schulen im Raum Würzburg und Schweinfurt angeboten. Insgesamt rund 60 Klassen seien dabei, sagt Weingart. Sie hofft, dass sich das Konzept auf Dauer in der deutschen Schullandschaft etabliert. Zwar sei es auch immer ein kleiner Spagat, die Lebensentwürfe von Lehrern mit denen von Künstlern zusammenzubringen. Aber die Begeisterung der Schüler und der nachhaltige Lernerfolg würden am Ende überzeugen.

Seit dem Wintersemester 2007/2008 gibt es an der Universität Würzburg sogar ein Seminar zum Thema LTTA. Dort können Lehramtsstudenten aller Fachrichtungen die Lehrmethode kennenlernen und gleichzeitig Punkte für ihren Abschluss erwerben. So kann man im Wintersemester in einem Seminarraum der Würzburger Uni auch angehende Lehrer in allen möglichen Verrenkungen antreffen – alles zum Wohle der Bildung der nächsten Generation.

Idealerweise könnten so bald zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: zum einen das Problem mangelnder Bewegung, zum anderen das Problem ungenügender mathematischer Grundlagen. Warum nicht etwas schwitzen und dabei lernen, wie man Kreise in Winkel teilt oder wie eine Lotterie funktioniert. Und vielleicht gehört dann auch das Klischee des stocksteifen Mathelehrers, der nur logisch denken und Formeln an die Tafel malen kann, bald zur Geschichte der alten Schule.

Von Christian Honey/RND

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