Warum sollen Kinder noch Bücher lesen, Christoph Biemann?
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Die Maus ist gelb, der Elefant ist blau und Christoph Biemann ist grün. Der grüne Pulli ist im Laufe der Jahrzehnte zu seinem Markenzeichen geworden.
© Quelle: picture-alliance / rtn - radio t
Herr Biemann, viele Kinder und mindestens ebenso viele Erwachsene kennen Sie als Christoph aus der „Sendung mit der Maus“. Ihr Markenzeichen ist Ihr grüner Pulli. Warum haben Sie denn heute keinen an?
Den grünen Pullover trage ich nur, wenn ich vor der Kamera stehe, sonst nicht. Das ist auch ganz angenehm, denn wenn ich durch die Stadt gehe, ist der Wiedererkennungsfaktor ohne den grünen Pulli nicht ganz so hoch.
Wie kam es überhaupt zu dem grünen Pullover?
Wir haben mal in den Achtzigerjahren eine „Maus“ über Atomkraft gedreht. Es war klar, dass sie viele Drehtage beanspruchen wird. Ich hatte damals viele bunte Pullover im Schrank, aber alle jeweils nur in einer Farbe. Nur in Grün besaß ich einen zweiten. Da habe ich gedacht, wenn der eine grüne in der Wäsche ist, kann ich noch den anderen anziehen. So ist es dazu gekommen. Irgendwann, nach weiteren Filmen im grünen Pullover, haben mich auch Kinder drauf angesprochen, und da war klar, der grüne Pulli hat sich zu einem Markenzeichen entwickelt.
In Ihrem neuen Buch "Buchstaben Zauber - Wie Sie Ihr Kind fürs Lesen begeistern" wollen Sie Eltern zeigen, wie diese ihre Kinder vom Lesen überzeugen können. Was sollen Kinder denn überhaupt noch mit Büchern?
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Christoph Biemann möchte mit seinem neuen Buch Eltern überzeugen, ihre Kinder zum Lesen zu ermutigen.
© Quelle: Mosaik-Verlag
Lesen bringt den Kindern einfach unheimlich viel: Fantasie, Empathie, sie können sich besser in andere Menschen hineinversetzen, sie können Gedankenbögen besser nachvollziehen, und die allgemeine Intelligenz wird gefördert. Es gibt Studien, die zeigen, dass das Lesen für Menschen, die höher hinauswollen als andere, unabdingbar ist. Eltern haben ja in der Regel den Ehrgeiz, dass aus ihren Kindern etwas wird. Also sollten sie das Lesen auch fördern.
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Aber wie?
Ganz wichtig ist das Vorlesen. Wem als Kind vorgelesen wird, der wird mit großer Sicherheit später auch zum Leser – da gibt es vielleicht zwischendurch mal ein paar Jahre, in denen Lektüre keine große Rolle spielt. Aber diese Menschen nehmen auf jeden Fall mal ein Buch in die Hand.
Was noch?
Es ist zudem wichtig, dass Eltern auch lesen. Denn Väter und Mütter haben eine wichtige Vorbildfunktion. Man sollte Kindern zeigen, dass Bücher zum Leben gehören. Etwa im Urlaub: dass sie sich dann in den Strandkorb setzen und lesen.
Da sieht man aber oft Eltern mit ihrem Smartphone.
Das kann man natürlich bedauern, aber es ist auch keine Todsünde. Man muss sich nur dessen bewusst sein, was man da macht. Es wird dann nicht leichter, Kinder zum Bücherlesen zu bringen.
Studien sagen, dass mittlerweile 30 Prozent der Deutschen, die einen Text lesen sollen, der länger ist als zwei Seiten, diesen nicht mehr oder nicht mehr hundertprozentig verstehen. Das kann einem schon einmal Sorgen bereiten.
Christoph Biemann, Autor, Regisseur und Moderator.
Gibt es einen Grund, warum Sie das Buch gerade jetzt geschrieben haben? In letzter Zeit begegnen mir öfter Menschen, die sagen: Ich habe mal wieder ein Buch gelesen, das war toll.
Studien sagen, dass mittlerweile 30 Prozent der Deutschen, die einen Text lesen sollen, der länger ist als zwei Seiten, diesen nicht mehr oder nicht mehr hundertprozentig verstehen. Das kann einem schon einmal Sorgen bereiten. Schließlich wird die Welt immer komplexer, da müssen wir alle viel mehr lesen, und das Textverständnis ist auch nicht ganz unwichtig. Diese Menschen sind ja auch Wähler. Da stellt sich schon die Frage: Wissen die genug? Haben die genug Kompetenzen, um zu wählen? Deswegen ist Leseförderung auch im Sinne der Demokratie wichtig.
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Bereitet es Ihnen Sorge, dass sich das so entwickelt?
Nein. Aus allen Kindern sind ja Erwachsene geworden – und aus den meisten sogar ganz vernünftige. Es gibt halt unterschiedliche Wege, das Ziel zu erreichen. Gerade in dem Alter zwischen zehn und 20 passiert so viel. Ob da man mehr liest oder mehr aufs Smartphone schaut, das entwickelt sich halt. Aber der Kuchen wird immer weiter verteilt. In der Zeit, die ich vor dem Smartphone verbringe, lese ich kein Buch und treibe keinen Sport.
Sie sagten eben, es kommen immer wieder auch lektürefreie Zeiten. Haben Sie Tipps an Erwachsene, wie diese mit dem Lesen wieder anfangen können?
Die sollten in die Zeitung schauen, Buchrezensionen lesen und sehen, was interessant ist. Die beste Werbung für ein Buch ist ein Buch.
Ihnen geht es vor allem um fiktionale Werke. Was ist das Besondere an Erzählungen und Romanen?
Ich denke nicht ans Aufhören. Dazu bin ich noch mit viel zu viel Spaß dabei. Noch jahrelang. Sie können sich also noch auf weitere Sachgeschichten von mir freuen.
Christoph Biemann.
Der Leser wird in diesen Werken ein Teil der Geschichte und lebt ein anderes Leben. Das ist bereichernd. Das eigene Dasein ist oft ja glücklicherweise nicht gefährlich. Wenn man trotzdem Abenteuer sucht, kann man sie zwischen zwei Buchdeckeln finden. Und zum Beispiel trockenen Fußes Moby Dick nachspüren. Am Ende möchte ich so etwas vielleicht wieder erleben und suche mir das nächste Buch. Das meine ich mit: Die beste Werbung für ein Buch ist ein Buch.
Gibt es ein Buch, das Sie zum Leser gemacht hat, eines, das Sie wahnsinnig gefesselt hat?
Ich kann mich erinnern, dass ich „Ein Kampf um Rom“ unter der Bettdecke gelesen habe, da konnte ich nicht aufhören. Und an Geschichten von Kindern, die in anderen Ländern leben. „Trini“ von Ludwig Renn war so eines, das handelt vom mexikanischen Bauernkrieg. „Die Rote Zora“ habe ich auch geliebt, überhaupt Geschichten über Kinderbanden. Und Astrid Lindgren natürlich: „Kalle Blomquist“, der Meisterdetektiv.
Würden Sie sagen, dass diese Klassiker bei Kindern immer noch gut ankommen? Ich habe da gespaltene Erfahrungen. Für manche Bücher von Erich Kästner zum Beispiel kann ich meinen Sohn nicht mehr begeistern.
Ich habe bei meinen Kindern und Enkelkindern auch unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Meinem Sohn wollte ich Jules Verne vorlesen und habe nach zwei Seiten schon gemerkt: Das ist nicht das, was ich in Erinnerung habe. Dann sollte man schon darauf achten, wie das Kind reagiert. Und das Buch im Zweifel beiseitelegen.
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Ein Buch von Erich Kästner, das bei uns zu Hause allerdings sehr gut angekommen ist, ist „Die Konferenz der Tiere“. Ich musste in den letzten Monaten viel daran denken, als die Jugendlichen und Kinder von Fridays for Future angefangen haben zu protestieren. Was halten Sie von den Protesten?
Ich finde sie sehr verständlich und nachvollziehbar. Ich bin ja Teil der 68er-Generation, in dem Alter, in dem die Jugendlichen heute sind, war ich damals. Seinerzeit hatte ich – ähnlich wie Greta Thunberg mit ihren eindeutigen Statements heute – auch ein sehr klares Weltbild. Bis ich dann irgendwann gemerkt habe, dass die Welt doch ein bisschen komplexer ist, als man sich das sich so gegenseitig angeeignet hat. Das Ziel, das die jungen Protestierenden erreichen wollen, ist ja unstrittig – es ist eines, das eigentlich alle wollen müssten. Nur die Wege dahin sind manchmal etwas komplexer als das, was auf der Straße gesagt wird. Nichtsdestotrotz ist es eine sehr begrüßenswerte Bewegung. Die Kinder und Jugendlichen lernen da auf jeden Fall mehr, als sie in der Schule lernen würden.
Was denn zum Beispiel?
Sie lernen, zusammen zu agieren, sich gemeinsam Dinge zu überlegen und auf die Beine zu stellen. Und sie können hoffentlich auch die Erfahrung machen, dass man durch diese gemeinsamen Aktionen etwas bewirkt. Das wäre ja etwas Positives, schließlich muss Demokratie auch gelebt werden.
Wie erklären Sie Kindern den Klimawandel?
Wir sind da in der „Maus“-Redaktion sehr zurückhaltend. Wir wollen niemandem sagen, was er denken soll. Das haben wir auch damals bei der Atom-„Maus“ nicht getan. Wir haben gezeigt: Das sind die Fakten, und es gibt Leute, die befürworten Atomenergie, und andere sind dagegen. An diesem Punkt halten wir dann inne und sagen: Die Meinung müsst ihr euch selbst bilden.
Sollte man mehr auf Kinder hören?
Was Kinder Erwachsenen voraushaben, ist zum Beispiel, dass sie Sachzwänge nicht kennen. Oder das Argument, dass etwas unbedingt sein muss. Die sagen: Warum muss das sein? Das ist eine Fragestellung, die manchen Erwachsenen auch guttun würde. Die könnten gern mal einen Schritt zurückgehen und sich etwa fragen: Müssen wir ein Tempolimit einführen? Müssen wir keins haben? Das ist ein komplexes Thema. Aber Kinder sagen: Nein, warum? Autos verpesten die Luft, die Autos sollen weg. Das ist das Privileg von Kindern, solch eine Meinung zu äußern. Und Erwachsene können sich davon ja anregen lassen, etwa, ob sie wirklich mit dem Auto zum Bäcker um die Ecke fahren müssen. Es ist gut, wenn Kinder Eltern auch zum Umdenken bringen. Das spürt die CDU gerade sehr heftig.
Sie sind kürzlich 67 Jahre alt geworden. Denken Sie auch manchmal ans Aufhören, oder können wir uns auf weitere Sachgeschichten von Ihnen freuen?
Nein, ich denke nicht ans Aufhören. Dazu bin ich noch mit viel zu viel Spaß dabei. Noch jahrelang. Sie können sich also noch auf weitere Sachgeschichten von mir freuen. Natürlich habe ich in meinem Umfeld momentan viele Kollegen, die in Rente gehen. Und da sage ich: Ich muss nicht. Ich bin selbstständig, ich kann so lange arbeiten, wie ich will.
Was sind denn Ihre nächsten „Maus“-Projekte?
Ich drehe etwa 15 Filme pro Jahr. Und das Schöne ist, dass die alle so unterschiedlich sind. Von der Autowaschanlage bis zu Flechten ist das Spektrum so breit, dass ich immer wieder neue Dinge erfahre. Das bereitet viel Spaß.
Was haben Sie zuletzt gedreht?
Vor Kurzem habe ich eine Bobbahn besucht und wollte mir anschauen, wie dort das Eis gemacht wird. Vorher dachte ich, nach zehn Minuten weiß ich, wie das geht. Und am Ende hat es drei Stunden gedauert, das zu erklären, und mein Kopf hat geraucht. Man glaubt gar nicht, wie aufwendig und kompliziert es ist, so eine Bobbahn in Gang zu kriegen. Das finde ich total spannend, das macht viel Spaß. Und was mich sehr stark motiviert, ist, dass ich immer sehr viel Sympathie zurückbekomme. Wenn ich Menschen begegne, die einfach die Sendung gut finden – das zu erfahren ist immer schön.
Haben Ihre Kinder die „Sendung mit der Maus“ auch gesehen?
Ja. Meine Tochter war sogar prägend als Zuschauerin, weil sie eines Tages gesagt hat, diese Industriefabrikgeschichten sind eher langweilig. Daran müsse man was ändern. Armin Maiwald und ich sind dann auf die Idee gekommen, einen Protagonisten und auch Geschichten zu erfinden. Also nicht nur Filme zu drehen à la: Ein Baum wird gefällt, und am Ende kommt eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur raus – sondern eine richtige Geschichte zu erzählen oder ein Problem, das man im Laufe des Films löst. An diesen Filmen, die ich bis heute drehe, ist meine Tochter schuld, die hat das angeregt.
Die „Sendung mit der Maus“ gibt es so lange und das Konzept ist ähnlich, ohne dass sich viel ändert. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Ein Grund ist sicher, dass es die Sendung schon so lange gibt und sie die Eltern der heutigen Kinder als Kind auch schon gesehen haben. Veränderungen machen wir schon, nur keine Revolutionen. Kinder sind sehr konservativ, wollen aber auch überrascht werden. Diese Gratwanderung versuchen wir hinzubekommen. Wir bauen jetzt daher neue Protagonisten auf, aber halten – Gott sei Dank – auch an den alten fest.
Warum ist die „Maus“ noch erfolgreich?
Wegen der Beständigkeit. Als die „Maus“ angefangen hat, gab es von allen Seiten Kritik, die Sendung sei zu bunt und zu laut, mit zu viel Musik. Heute lesen wir vom wohltuenden Adagio in der „Maus“. Vor allem aber sind wir sehr authentisch. Wir stehen hinter den Dingen, die wir drehen. Wir entscheiden uns nicht für Themen, weil wir denken, die kommen gut an, sondern erzählen das, was wir für wichtig erachten. Die eigene Neugier ist natürlich sehr wichtig.
Zur Person
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Christoph Biemann arbeitet seit 1971 für "die Sendung mit der Maus".
© Quelle: picture alliance / Geisler-Fotop
Die Maus ist gelb, der Elefant blau – und Christoph grün - zumindest sein Pullover. Das farbige Kleidungsstück ist das Markenzeichen von Christoph Biemann, der gemeinsam mit Armin Maiwald zu den altgedienten Moderatoren der „Sendung mit der Maus“ gehört. Biemann arbeitet seit 1971 für die Sendung, somit kennen ihn nicht nur die Kinder von heute, sondern auch deren Eltern, die selbst schon als Kind die Lach- und Sachgeschichten mit Begeisterung und Staunen verfolgt haben.
Christoph Biemann wurde 1952 im mecklenburgischen Ludwigslust geboren. Er studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Anschließend arbeitete der heute 67-Jährige als freier Regisseur. In dieser Funktion war er zunächst auch für die „Maus“ tätig, bevor er 1982 erstmals selbst auf dem Bildschirm zu sehen war.
In seinem neuen Buch „Buchstabenzauber“ (Mosaik, 192 Seiten, 16 Euro), das am Montag erscheint, beschäftigt sich Biemann mit unserer Welt, in der Bücher immer unwichtiger zu werden scheinen. Das bedauert der überzeugte Vielleser und gibt gemeinsam mit seinem Co-Autor Thomas Montasser Tipps, wie Eltern ihre Kinder für das Lesen begeistern können.