Wenn aus allein einsam wird: Der Lockdown trifft Singles besonders hart – nicht nur an Weihnachten

Neue Freunde finden im Lockdown? Fehlanzeige. Eine Frau sitzt nachts auf der Couch und schaut auf ein Smartphone (Symbolfoto).

Neue Freunde finden im Lockdown? Fehlanzeige. Eine Frau sitzt nachts auf der Couch und schaut auf ein Smartphone (Symbolfoto).

Vorweihnachtsgespräch im Dezember 2020: Greta Leitz*, 44, lebt in einer großen deutschen Stadt mit extrem vielen Corona-Fällen. Allein, als Single. Sie hat sich gefreut auf das Zusammensein mit den Eltern im Haus der Schwester, auf deren zwei Kinder, auf die Nähe. Aber „ich fürchte nichts so sehr, wie meine Eltern zu infizieren. Das könnte ich mir im Leben nicht verzeihen.“ Deshalb hat die Fotografin beschlossen, Weihnachten nicht zur Familie zu fahren. Sie war erleichtert, als auch Vater und Mutter verkündeten: „Wir bleiben zu Hause.“

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Dann rief die Schwester an. Wütend. „Wie soll ich auch das noch den Kindern erklären? Dass Oma und Opa und du nicht zu uns kommen wollen! Du sagst gleich: Ihr könnt es euch doch zu viert schön machen. Aber wir machen es uns seit einem verdammten Jahr zu viert schön!“

Wenn Alleinsein in Einsamkeit kippt

Greta Leitz hat sich geschämt in dem Moment. Weil ihr klar wurde, dass sie es leicht hat, wenn sie Entscheidungen nur für sich selbst trifft.

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Aber auch, weil sie der Schwester eigentlich hatte sagen wollen, wie schwer ihr das alles trotzdem fällt: Wie sie die Tage der totalen Stille fürchtet, wenn sie keine Aufträge hat, die sie aus ihrer Wohnung holen. Wie es sie mürbe macht, nur noch mit einer Freundin oder einem „zweiten Haushalt“ zusammenkommen zu dürfen. Wie ihr die große Runde fehlt, das Debattieren. Wie trostlos es ist, wenn sie bei einer Arbeitsreise in einer fremden Stadt allein im Hotelzimmer hockt und ein Sandwich mümmelt, statt sich ein Lokal zu suchen, ins Kino, ins Museum zu gehen.

Kurz: Wie unfassbar allein sie jetzt ist. „Ich hatte das Gefühl, über ein Luxusproblem zu klagen. Ich muss ja nicht noch die Nöte von Kindern auffangen. Und ich komme seit Jahren super damit klar, allein zu leben.“

Nur: Wenn Alleinsein in Einsamkeit kippt, dann ist das kein Luxusproblem. Sondern reale Not. Von der in Zeiten von Kontakt­beschränkungen und häuslicher Isolation 17,6 Millionen Menschen in Deutschland bedroht sind. Fast jeder vierte Mensch in diesem Land ist Single, also alleinlebend ohne Partner. Mit einem Anteil von 42 Prozent ist der Singlehaushalt heute die häufigste Wohnform. Und es liegt nicht allein an der wachsenden Zahl der oft zitierten Witwen über 70.

Sozial engagierte Singles werden alleingelassen

Der überwiegende Teil der Alleinlebenden ist zwischen 25 und 65. Längst nicht alle haben sich bewusst für diese Lebensform entschieden, sie ist ihnen mangels passenden Partners oder infolge einer Scheidung nach langer Ehe einfach passiert. Weil das Leben nicht immer alles für alle parat hält. Auch nicht für Greta Leitz. Nur 4,74 Millionen Menschen beschrieben sich 2019 selbst als „überzeugter Single“.

Doch auch sie geraten, je länger der Teil-Lockdown und das Zurückfahren öffentlichen Lebens dauern, an emotionale Grenzen. Wie Thomas Schneider*, Reiseleiter im Ruhrgebiet.

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Schneider gehört zu den Menschen, die die amerikanische Psychologin Bella DePaulo, Autorin des Buches „Singled Out“, so beschreibt: Ihr Alleinleben stärkt Kreativität, persönliches Wachstum, Spiritualität und die Fähigkeit zur Vernetzung. Mitnichten seien sie egoistisch auf das eigene Vergnügen aus, sie übernähmen ehrenamtliche Arbeit und kümmerten sich um andere Leute.

Alles Qualitäten, die das beste Rüstzeug sind für die Bewältigung einer Krise wie dieser. Die sie befähigen, gelassen allein durch diese Zeit zu gehen. Was sie in den ersten Monaten der Pandemie auch taten. Inzwischen aber fühlen sich viele alleingelassen. Weil erzwungene Vereinzelung etwas ganz anderes ist als frei gewählte Unabhängigkeit.

„Leute wie ich haben sich dieses Leben bewusst ausgesucht, weil es das bessere Leben ist“, sagt der knapp 50 Jahre alte Schneider und meint den Frieden in den eigenen vier Wänden, die Reisen in andere Länder, die Vielfalt seiner Beziehungen. „Es ist sicher auch ein feiges Leben, weil man keine Verantwortung für andere übernimmt. Aber es kann auch feige sein, sich in der vermeintlichen Sicherheit einer Familie zu vergraben.“

Ist ein Viertel der Deutschen eine Randgruppe?

Er hat es schon oft gedacht, jetzt aber erscheint es ihm zum Problem zu erwachsen: „Singles haben keine Lobby.“ Sie würden als gesellschaftliche Gruppe von der Bundesregierung (in der außer Peter Altmaier nur Politiker mit Partner oder Partnerin sitzen) missachtet. Obwohl Social Distancing und kultureller Stillstand alles über den Haufen schmeißen, was nicht nur Lebensgefühl, sondern Alltag von Millionen Alleinlebenden ausmacht. „Alle Bemühungen der Politik, die Corona-Beschränkungen erträglicher zu machen, konzentrieren sich auf Familien“, sagt er.

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Stimmt das? Ja, sagt der Soziologe Karl Lenz von der Universität Dresden und nennt zwei Gründe: „Die Familie ist trotz aller Veränderungen bei uns weiter die kulturelle Norm. Das definiert auch Politik. Vor allem aber hat der Staat hoheitliche Aufgaben wie die Sicherung der Schulpflicht zumindest zeitweise in die Familien zurückverlagert. Da muss er Unterstützung und Ausgleich bieten.“

Aber das muss er nicht tun, wenn seine Maßnahmen Millionen Alleinlebende aus der Bahn werfen? „Wir sollten vorsichtig sein“, sagt Lenz, „einem Staat, der ohnehin gerade tief in unser Leben eingreift, auch noch die Zuständigkeit für subjektives Befinden anvertrauen zu wollen.“

Alleinleben plus Homeoffice macht Isolation

Früher oder später aber wird das staatliche Gesundheitssystem sich wohl damit beschäftigen müssen. Dann, wenn Vereinsamung nicht mehr nur zur Belastung, sondern in die Depression führt.

Youssef Shiban, Professor für klinische Psychologie an der Privaten Hochschule Göttingen, ist sehr vorsichtig mit Verallgemeinerungen: „Allein leben ist nicht der einzige Faktor, der Einfluss auf das Wohlbefinden nimmt. Bei Alleinlebenden aber könnten auch wegen langer Homeoffice­zeiten auf Dauer Kontakte von Angesicht zu Angesicht fehlen und sich die soziale Isolation intensivieren.“ Und: Die Angst vor finanzieller Not in der Corona-Krise ist umso größer, wenn es keinen Partner gibt, auf den man sich stützen kann.

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Shiban hat in einer Onlinestudie Menschen aller Altersklassen zu ihrer psychischen Verfassung während der Pandemie befragt. „Statt des erwarteten einen Prozents konnten wir einen Anteil schwerer Depressivität von 5 Prozent beobachten“, berichtet er. Auch Familienmenschen sind dagegen nicht gefeit: In einer vorläufigen Analyse scheint dies unabhängig von der Lebensform zu sein. Fest steht aber, dass junge Menschen stärker betroffen sind als ältere.

Besonders gefährdet sind Menschen zwischen 18 und 29. Also genau die Altersgruppe, in der allein leben ganz selbstverständlich ist. Der Novemberbericht von Cosmos, einem Projekt mehrerer wissenschaftlicher Einrichtungen zum Covid-19-Monitoring, stellt fest: Sie fühlen sich viel einsamer als alle anderen Altersgruppen. Und niedergeschlagener, deprimierter als alle anderen.

„Eine Lobby muss man sich schaffen“

„Wir sind in einer Lebensphase, in der wir selbst und die Gesellschaft von uns erwarten, dass wir etwas aufbauen“, sagt Jette Freimann, „aber seit fast einem Jahr werden wir ausgebremst.“ Die 27-jährige Doktorandin ist ihrer Professorin gefolgt, als diese einen Ruf nach Würzburg erhielt. Ende September ist die junge Physikerin umgezogen, hat Sportkurse gebucht, um „Leute außerhalb der Wissenschaftsblase zu treffen“, doch am 2. November war schon wieder Schluss damit. Neue Freunde finden im Lockdown? Fehlanzeige. Auch aus Verantwortung fürs Ganze: „Ich kann mir jeden Tag eine andere Person einladen. Aber was weiß ich denn über deren Pandemieverhalten, wenn ich sie gerade erst kennenlerne?“

Es ist die typische Situation einer Generation, die der viel geforderten Mobilität aus beruflichen Gründen Folge leistet – und in persönlicher Isolation landet. Jette Freimann weiß von mehreren Freunden, die nach dem Master im Sommer einen Job in einer neuen Stadt begonnen haben – und ihren Kollegen noch nie begegnet sind. Homeoffice vom ersten Tag an. Von Erstsemestern, die nie eine Uni von innen gesehen, nie Lehrende oder Kommilitonen persönlich erlebt haben. Von Auszubildenden, deren Praktika ersatzlos gestrichen sind.

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„Ich kann ihn nicht mehr hören, den ewigen Rat: Ihr seid die digitale Generation, trefft euch online. Jahrelang sind wir davor gewarnt worden, dass zu viel Virtualität das Sozialleben aushöhlt. Jetzt soll sie das Allheilmittel sein“, sagt Jette Freimann. „Dabei brauchen auch wir die Wärme von Menschen, die neben uns sitzen, uns umarmen, mit uns tanzen.“

Eine Lösung ist, realistisch, nicht in Sicht. Vielleicht brauchen Alleinlebende eben doch eine Lobby. Nur: „Eine Lobby bekommt man nicht, die muss man sich schaffen“, sagt Soziologe Lenz. Dafür aber müsste „diese sehr heterogene Gruppe“ wie die Familien gemeinsame Interessen erkennen und formulieren. Es sei „eine spannende Frage, ob sich die Gemeinschafts­erfahrung der Vereinzelung in der Pandemie da als Auslöser erweisen wird“.

Es geht, immerhin, um das Leben eines Viertels der Bevölkerung.

*Namen von der Redaktion geändert.

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