Wenn Frauen keine Mütter sein wollen

Mutterglück – für die einen ist es das Größte, andere wollen davon nichts wissen.

Mutterglück – für die einen ist es das Größte, andere wollen davon nichts wissen.

Hannover. Sieben Jahre lang – von 1951 bis 1958 – war Soraya die Kaiserin von Persien. Dann wurde sie von ihrem Mann Schah Mohammad Reza Pahlavi verstoßen, weil sie ihm keine Kinder schenken konnte. Verglichen damit geht es kinderlosen Frauen in Deutschland zweifellos gut: Sie sollen lediglich mehr Steuern bezahlen, weil sie keinen Nachwuchs großziehen, der später in die Rente einzahlt. Und ab und zu müssen sie sich für ihre Lebensentscheidung rechtfertigen und erklären, warum sie damit nicht automatisch egoistisch und karrieregeil sind.

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In Deutschland war 2018 etwa jede fünfte Frau im Alter von 45 bis 49 Jahren kinderlos. Das sind doppelt so viele wie in den Achtzigerjahren. Die Gründe dafür sind verschieden. Doch Fakt ist, dass sich immer mehr Frauen bewusst gegen eigenen Nachwuchs entscheiden, und nicht selten Unverständnis oder Ablehnung erfahren. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland hat mit Sarah Diehl gesprochen, die Kulturwissenschaftlerin und Autorin hat sich in ihrem Buch „Die Uhr, die nicht tickt“ (Arche Verlag) mit dem Frauenbild im 21. Jahrhundert auseinandergesetzt.

Frau Diehl, Sie selbst haben sich entschieden, keine Kinder zu bekommen. Wann sind Sie das letzte Mal darauf angesprochen worden?

Sarah Diehl: Am Freitag auf einer Party. Aber dabei ging es weniger um mich und meine Beweggründe, sondern um die Erfahrung der anderen Frauen, die häufig den gesellschaftlichen Druck spüren und darüber nachdenken, wie sie sich abgrenzen müssen.

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Abgrenzen, erklären, rechtfertigen?

Die Entscheidung, keine Kinder zu wollen, ist ja oft ein Prozess. Da gibt es nicht immer ein bestimmtes Argument, das zu einer bestimmten Zeit den Ausschlag gegeben hat. Viele Frauen denken zum Beispiel lange Zeit, dass sie eigentlich Kinder wollen und irgendwann heißt es dann: „Es hat sich nicht ergeben“. Aber viele wollten es tatsächlich nie – sie sind aber so den Diskussionen in ihrem Umfeld aus dem Weg gegangen.

Sarah Diehl, Jahrgang 1978, lebt als Autorin in Berlin. Als Aktivistin hat sie das Netzwerk Ciocia Basia mitbegründet. Mit ihrem Buch „Die Uhr, die nicht tickt“ (Arche Literatur Verlag AG) hat sie ein brisantes gesellschaftliches Thema aufgegriffen.

Sarah Diehl, Jahrgang 1978, lebt als Autorin in Berlin. Als Aktivistin hat sie das Netzwerk Ciocia Basia mitbegründet. Mit ihrem Buch „Die Uhr, die nicht tickt“ (Arche Literatur Verlag AG) hat sie ein brisantes gesellschaftliches Thema aufgegriffen.

Es gibt viele Gründe, warum sich Frauen gegen das Muttersein entscheiden …

… ja, die gibt es. Ich kenne allerdings keine Frau, die kinderlos bleiben will, weil sie keine Kinder mag. Ich selbst verbringe unheimlich gern mit den Kindern meiner Freunde Zeit, finde deren Entwicklung spannend, habe einen guten Draht. Warum soll man das immer trennen – die einen dort, die anderen da? Die einen überlastet und sozial, die anderen egoistisch und unsolidarisch?

Den Vorwurf „unsolidarisch“ hört man immer wieder.

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Frauen können sich ja nicht nur als Mutter in die Gesellschaft einbringen, sondern haben, wenn sie kinderlos sind, noch mehr Kapazitäten um sich politisch oder sozial zu engagieren.

Das alte Bild der Kleinfamilie soll nicht ins Wanken kommen

Sarah Diehl

Unwissenheit, aber auch Neid und Verunsicherung?

Sicherlich. Oft sind es Mütter, die neidisch sind auf die Freiräume, die die Frauen ohne Kinder haben. Und auf die fehlende Bestätigung, dass die eigene Entscheidung die einzig richtig ist. Am liebsten würden sie dann allen die Mutterrolle überstülpen. Auch Männern begegnen dem Thema der Fürsorge oft mit Ignoranz. Sie wollen nicht, dass das alte Bild der Kleinfamilie ins Wanken kommt: Der Mann verdient das Geld. Die Frau bleibt zu Hause und versorgt die Kinder – und später die alten Eltern. Dieses politische Konstrukt aus früheren Tagen baut übrigens noch heute auf die unbezahlte Fürsorge, die die Frauen ganz selbstverständlich erfüllen sollen. Würde diese Bereitschaft ausbleiben, würde eine riesige kostenfreie Arbeitsressource wegfallen.

Rechte Kreise gehen noch weiter: Bei dieser Entwicklung seien die Deutschen vom Aussterben bedroht …

… ja, auch ich stehe auf der Abschussliste von rechtsradikalen Organisation.

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Aus vielen Teilen der Gesellschaft wird immer wieder gefordert, Frauen ohne Kinder sollen mehr in die Renten- und Pflegekasse zahlen, weil sie keine Kinder haben, die das System später finanzieren.

Ich denke, das ist einfach zu kurz gedacht. Und ein Ablenkungsmanöver. Wir brauchen nicht mehr Kinder, wir brauchen mehr gute Jobs, bei denen die Leute gut verdienen und so die Renten sichern. Kinderreichtum macht in Deutschland oft genug arm. Abgesehen davon, habe ich nichts dagegen, Kindertagesstätten und Schulen mitzufinanzieren, auch in die Kasse mehr einzuzahlen. Außerdem müsste man das genau durchrechnen, damit es am Ende fair bleibt. Schließlich zahlen wir auch schon mehr Steuern.

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