Wenn Männer ihre Kinder alleine erziehen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3VYPYVNG4FGU7K4LVIO3SVC364.jpg)
Wie fühlt es sich an, alleinerziehender Vater zu sein? Zwei Männer berichten.
© Quelle: Picsea/Unsplash
Frauen sind heute emanzipierter, finanziell unabhängiger und selbstständiger. Einige von ihnen sind so freiheitsliebend, dass sie ihre Familien zurücklassen, um ihren eigenen Weg zu gehen. Was übrig bleibt, sind ihre Kinder und die plötzlich alleinerziehenden Väter. Zwei Männer erzählen, wie sie ihr Leben als Vollzeitväter und Geldverdiener bewältigen.
Trennung zum Schutz der Kinder
Hauke Stemmler (43) aus Flensburg ist Versicherungs-Angestellter und alleinerziehender Vater von drei Kindern.
Meine Frau war krank – sie hat getrunken. Und irgendwann, nach ihrem dritten Entzug und ihrem dritten Rückfall, habe ich begriffen, dass ich ihr nicht helfen kann. Ich konnte einfach nicht mehr. Und die Kinder litten darunter, dass sie ihre Mutter dauernd betrunken und völlig verwirrt sahen. Da traf ich die Entscheidung, mich zu trennen und unsere drei Kinder alleine großzuziehen. Wobei sie ihre Mutter natürlich jederzeit hätten sehen dürfen. Aber sie wollten das nicht mehr. Und vielleicht war es besser so.
Für mich begann eine Zeit, die wirklich hart und stressig war. Ich lief ständig am Limit, funktionierte nur noch wie eine Maschine. Morgens um 5 Uhr aufstehen. Alle versorgen, Butterbrote schmieren, Ranzen checken und in den Schulbus setzen. Dann selbst zur Arbeit bei der Versicherung. Mittags kurz nach Hause hetzen. Essen machen. Wieder los. Arbeiten bis 17 Uhr. Auf dem Nachhauseweg schnell noch einkaufen. Putzen, waschen, Schulsorgen besprechen, Hausaufgaben betreuen. Wie gesagt: Ich funktionierte wie eine Maschine, die aber auf keinen Fall ins Stocken geraten durfte. Krank werden – unmöglich.
Trotzdem versuchte ich mich aufzubauen, indem ich sagte mir sagte: Ich habe es doch gut, weil meine Mutter mir nachmittags die Kinder abnimmt und ich so weiter Vollzeit arbeiten kann. So reicht das Geld für uns vier und wir haben eine Sorge weniger.
Ich funktionierte jahrelang wie eine Maschine.
Ich sorgte aber auch dafür dass ich es mir mit den Kindern gemütlich machte, wir zusammen spielten, Ausflüge unternahmen und viel lachten. Denn eines habe ich nie verlernt: Optimistisch zu bleiben. „Alles wird gut“ war und ist bis heute mein Leitspruch.
Eine neue Freiheit
Und als die Kinder langsam größer wurden, führten wir auf Anraten einer Bekannten so genannte Familien-Konferenzen ein. Das hieß, wir setzten uns am Sonntag nach dem Abendbrot zusammen, um zu beschnacken, was alles in der nächsten Woche anliegt und ob wir das auf mehrere Schultern verteilen können. Das begann mit Putzplänen für Bad, Küche und Wohnzimmer, zu denen alle mal eingeteilt wurden, betraf das reihum waschen und Müll rausbringen und endete darin, dass jeder einen Wunsch formulieren durfte.
So wünschte ich mir zum Beispiel, mittwochs abends endlich wieder zum Fußball gehen zu können – wie früher. Ich wollte ein kleines bisschen Zeit für mich ganz alleine. Dazu mussten die Kinder es aber hinkriegen, alleine Zähne zu putzen, die Schulranzen zu packen und rechtzeitig um 20.30 Uhr zu Bett zu gehen. Und es klappte wirklich, weil die Kinder verstanden, dass auch ich mal eine Auszeit brauchte. Der Mittwochabend war also geritzt. Und ich fühlte mich so frei, wie schon lange nicht mehr.
Eine neue Beziehung
An einem dieser Abende lernte ich auch Evelin kennen – die Schwester eines Fußball-Kumpels. Ich verliebte mich sofort in sie, hatte aber gleichzeitig Bedenken, ob sie mich überhaupt reizvoll finden würde – mit drei Kindern und kaum Zeit. Und tatsächlich zog sich unser erstes richtiges Date Wochen hin, weil erst eine schwierige Mathearbeit der Großen wichtiger war, dann eine fiebrige Erkältung meiner Kleinen und beim dritten Versuch ich selber zu erschöpft war.
Aber Evelin ließ sich nicht abschrecken. Und so kamen wir schließlich beim vierten Date-Versuch tatsächlich zusammen. Zum Glück fanden meine drei Kinder sie auch sofort sympathisch. Und Evelin mochte die Kinder. Mir fiel ein Riesenstein vom Herzen, denn anders hätte es mit uns nicht klappen können.
An ein Zusammenziehen oder etwas Ähnliches war aber lange nicht zu denken. Dafür brauchten mich meine Kinder noch zu sehr für sich alleine. Schließlich hatten sie nur noch einen Elternteil. Und es war für sie extrem wichtig, dass ich für jeden von ihnen ganz individuell Zeit hatte. So dachte ich mir auch für alle drei ganz besondere Einschlafrituale aus. Mit Daniela, meiner Ältesten, las ich jeden Abend ein Kapitel aus einem Piratenbuch, mit Karl, dem Mittleren, sah ich mir oft alte Alben an, als seine Mama noch gesund war und wir alle eine glückliche Familie.
Josie war es hingegen wichtig, mit mir einfach nur über Gott und die Welt zu sprechen, wie mit einer guten Freundin. Und bevor ich ging, küsste ich ihre Nase – das mache ich oft heute noch, obwohl sie mittlerweile eine junge Frau ist.
Auf jeden Fall habe ich mir nichts vorzuwerfen, denke ich heute manchmal, wenn ich meine Kinder sehe, wie sie fast schon erwachsen sind, selbstbewusst ihren Weg gehen und mutig ihre eigene Zukunft planen. Und ich bin stolz, dass ich sie dabei ein Stückchen begleiten und helfen durfte.
Heute wohnt Evelin auch bei uns und Daniela macht demnächst ihre Lehre zu Ende und zieht als Erste aus. Alles ist tatsächlich gut geworden… wusste ich’s doch.
Trennung nach Seitensprung
Sönke Heiden (39), Verwaltungsbeamter aus Kassel, ist seit einem Jahr alleine für seine zehnjährige Tochter Ilona verantwortlich.
Es war ein Sonnabend vor fast einem Jahr – ich erinnere mich sehr genau, weil dieser Tag der schwärzeste seit langem war. Ich bereitete in der Küche das Frühstück für uns drei vor, als das Handy meiner Frau piepste. Eine Nachricht. Mein Blick fiel auf das Gerät auf dem Küchentisch. Und dann tat ich etwas, was ich sonst nie machte. Ich las die Nachricht: „Sehen wir uns heute noch? Ich hab Sehnsucht nach dir. In Liebe T.“
Ich war total geschockt. Und ich stellte meine Frau zur Rede, als sie die Küche betrat. Monika versuchte gar nicht erst, sich herauszureden. Sie war nicht einmal verlegen, als sie meinte. „Ja, es stimmt. Ich treffe mich seit einem halben Jahr mit Torsten – einem Bekannten.“ Mir wurde ganz schlecht und ich schaffte kaum, ein Wort herauszubringen. Da sprudelte es schon weiter aus Monika heraus: „Ich will die Scheidung, Sönke! Die Sache mit Torsten ist wirklich ernst. Ich liebe ihn und ich werde zu ihm nach Göttingen gehen. Einen neuen, besser bezahlten Job könnte ich da außerdem auch bekommen. Ich hatte schon ein Vorstellungsgespräch.“ Mir rauschte der Kopft, als ich sie fragte, was denn dann mit Ilona werden sollte. „Unsere Tochter bleibt am besten hier bei dir. Hier ist ihr Zuhause. Hier sind ihre Freunde. Außerdem ist die Wohnung in Göttingen auch nicht wirklich groß genug.“
Monika hatte also alles schon durchdacht und vor allem hatte sie alles alleine entschieden. Tatsächlich zog sie einen Tag später aus. Ich war völlig vor den Kopf gestoßen. Wie sollte ich Ilona, unserer gerade mal neunjährigen Tochter erklären, dass ihre Mutter nicht nur mich sondern auch sie verließ? Und dass ihre Mutter eigentlich nur noch ihr neues Liebesglück genießen und ihre Karriere vorantreiben wollte?
14-Stunden-Tage plötzlich obligatorisch
Ich bemühte mich, nicht meine ganze Verbitterung in dieses Gespräch zu legen. Ilona sollte doch weiter ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter behalten, die sie nun nur noch alle vier Wochen am Wochenende sehen würde – und zwei Wochen in den Sommerferien. „Mehr geht wirklich nicht“, meinte Monika und ich hatte keine Lust, auf dem Rücken meiner Tochter irgendwelche Sorgerechts- und Scheidungsstreitigkeiten auszutragen.
Ich möchte nicht, dass meine Tochter unter der Trennung leidet.
Es war schon schwer genug für Ilona. Und auch ich musste es irgendwie schaffen, den Alltag mit Kind und Job zu wuppen. 14-Stunden-Tage waren nun obligatorisch. Aber das war für mich nicht entscheidend. Wichtig war und ist, dass Ilona nicht noch mehr unter der Trennung leidet als sowieso schon.
Unter Auferbietung meiner ganzen Kraft schaffte ich es dann tatsächlich, keinen Rosenkrieg mit meiner Frau anzuzetteln. Ich wollte nicht voller Hass sein. Und eigentlich war ich auch viel zu erschöpft dafür. Denn es war anfangs wirklich verdammt schwer, plötzlich Alleinerzieher zu sein. Mit dieser riesigen Bürde der Verantwortung, die auf meinen Schultern lastete.
Beziehung zu Tochter durch Trennung stärker
Außerdem musste ich auf einmal diesen ganzen, lästigen Haushalt alleine schaffen, den wir früher geteilt hatten. Entschädigt wurde und werde ich allerdings dadurch, dass meine Beziehung zu meiner Tochter noch intensiver und schöner geworden ist. Egal, ob wir beide gemeinsam chipskauend auf dem Sofa sitzen und einen Kitsch-Film ansehen oder zusammen paddeln gehen.
Allerdings passierte es auch immer wieder, dass wir beide weinen müssen, wenn zum Beispiel ein Geburtstag oder Weihnachten ist und wir betrauern, dass wir nur noch eine halbe Familie sind. Dann ist es an mir, schnell wieder die Stimmung zu retten und Ilona mit irgendetwas zum Lachen zu bringen oder abzulenken. Darin bin ich mittlerweile richtig gut.
Beim Job sind die Kolleginnen und Kollegen zum Glück sehr rücksichtsvoll, sodass ich problemlos gehen kann, wenn Ilona mal krank ist oder eine Lehrersprechstunde ansteht. Auch meine Freunde, Bekannten und Nachbarn finden es toll, dass ich mein Kind alleine großziehe. Aber wenn sie sich darüber aufregen: „Wie kann eine Mutter nur ihr Kind im Stich lassen?“ erwidere ich schnell: „Moment mal, Ilona lebt doch bei mir. Da ist sie doch nicht im Stich gelassen!“
Tatsächlich meldet sich Monika allerdings wirklich immer seltener und verschiebt ihre Wochenenden mit Ilona häufig aus fadenscheinigsten Gründen. Das tut mir dann in der Seele weh. Und ich kann meine Kleine kaum trösten.
Und dann muss ich immer daran denken, dass Ilona ihre Mutter eigentlich so doll bräuchte, wenn sie in die Pubertät kommt. Aber es hilft nichts. Dann muss ich eben versuchen, mit ihr die nötigen Frauengespräche zu führen.
RND/protokolliert von Gitta Schröder