Wenn Stress krank macht
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Die Warnsignale für chronischen Stress sind Schlafstörungen, Gereiztheit, häufige körperliche Infekte oder Rückenschmerzen.
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Hannover. Die Gedanken kreisen immer um dieselben Szenen: den unmöglichen Chef, der schon wieder unfair war oder die dreiste Nachbarin, die den Putzdienst im gemeinschaftlichen Treppenhaus – wie so oft – vernachlässigt hat. Der Atem geht flach und schnell, und dann ist da diese permanente innere Unruhe, die sämtliche Entspannungsversuche im Keim erstickt. Stattdessen werden lieber noch schnell die Mails gecheckt und der Stapel an Unterlagen abgearbeitet, der sich bedrohlich auf dem Schreibtisch türmt. Es ist ein Teufelskreis an dessen Ende oftmals die totale Erschöpfung steht.
Warnsignale bei Stress wahrnehmen
Die Anzeichen sind deutlich: Wer merkt, dass er am Wochenende nicht mehr abschalten kann, nach dem Wochenende nicht erholt ist oder gar nach einem längerem Urlaub immer noch auf dem Zahnfleisch kriecht, der ist mitunter schon ziemlich tief gefangen in der Stressspirale. Hinzu kommen Symptome wie Schlafstörungen, Gereiztheit, häufige körperliche Infekte oder Rückenschmerzen. "All das sind Warnsignale für chronischen Stress", sagt Psychiaterin und Psychotherapeutin Iris Hauth. Sie ist Ärztliche Direktorin und Geschäftsführerin des Alexianer St. Joseph Krankenhaus in Berlin Weißensee und hat regelmäßig mit Patienten zu tun, die all diese Symptome in sich vereinen. Die Auslöser sind vielfältig: Als einen Punkt nennt sie die kontinuierliche Veränderung der Arbeitswelt durch die "Globalisierung und die Digitalisierung". In Studien wie dem Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2012) oder der Stressstudie der Techniker Krankenkasse (2016) seien gravierende Belastungsfaktoren in diesem Bereich ausgemacht worden: zunehmendes Multitasking, die steigende Termin- und Leistungsdichte, nicht eingehaltene Pausen, zu wenig Lob und Gefühle der Ohnmacht am Arbeitsplatz durch unsichere Arbeitsverhältnisse. "Die psychosoziale Belastung hat zugenommen und wird auch so erlebt", bestätigt Hauth.
Gestützt werden diese Forschungsergebnisse durch nackte Zahlen: Psychische Erkrankungen stehen an zweiter Stelle bei den Krankschreibungen und sogar an erster Stelle bei der Frühberentung: „Das ist volkswirtschaftlich gesehen, aber natürlich auch für die Betroffenen im Einzelnen, ein Riesenleid“, sagt Hauth. Ein Begriff, der sich in diesem Zusammenhang etabliert hat, von Psychiatern wie dem Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Professor Ulrich Hegerl, aber gern als „irreführend“ bezeichnet wird, ist der Burn-out. Er umschreibt ein Gefühl der totalen Erschöpfung, ist aber nicht als offizielle Krankheit im ICD-Index anerkannt. Als irreführend gilt der Begriff, weil sich laut Hegerl dahinter sowohl Menschen mit Erkrankungen wie Depressionen als auch solche, die einfach zu viel gearbeitet haben, „verstecken“.
Diagnose Burn-out führt zu falscher Behandlung
Das verleite zu falschen Behandlungsmethoden, die wie im Beispiel einer chronischen Überlastung und einer Depression nahezu konträr seien, sagt Hegerl und kritisiert: „Wer einfach sehr erschöpft ist, dem wird unter anderem zu Urlaub und längeren Ruhezeiten geraten. Bei einem depressiv Erkrankten, der krankheitsbedingt immer auch unter Erschöpfung leidet, ist diese Empfehlung mitunter fatal und verstärkt die Depression sogar noch. Schlafentzug ist ja eine bestens belegte Behandlung bei Depression.“
Eine weitere Gefahr des Burn-out-Begriffs, da sind sich Hauth und Hegerl einig, liege in der Verstärkung des Stigmas der Depression, frei nach dem Motto: „Wer etwas leistet, der bekommt einen Burn-out, und Depressionen sind nur etwas für Looser“, mahnt Hauth.
Hegerl kritisiert zudem, dass viele Menschen immer noch glaubten, dass die Depression vor allem von äußeren Belastungsfaktoren abhänge: „Diese spielen eine viel geringere Rolle als angenommen. Entscheidend ist die Veranlagung“, betont der Psychiater. Einziger Vorteil des Modebegriffs Burn-out sei aus seiner Sicht, „dass sich depressiv erkrankte Menschen hinter diesem Label vielleicht eher trauen, Hilfe zu holen“.
Hauth umschreibt den Burn-out als Risikozustand, aus dem sich dann Depressionen, Angststörungen und Abhängigkeitserkrankungen ergeben könnten. In einer ihrer Einrichtung angeschlossenen Burn-out-Tagesklinik würden sich daher auch nicht in erster Linie Depressive einfinden, sondern vielmehr Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl, die sich vor allem durch Leistung definieren und auf Lob aus sind.
Mangel an Lob und Anerkennung macht krank
Medizinsoziologen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Gratifikationskrise. Aus dem Mangel an Lob und Wertschätzung im Job heraus werde immer noch mehr gearbeitet, sich geradezu aufgeopfert, fasst es Hauth zusammen. Werde dann noch die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns infrage gestellt, käme ein Kontrollverlust hinzu. Und werde die Selbstwirksamkeit nicht mehr wahrgenommen, münde dies in chronischen Stress. Damit geht eine permanent zu hohe Cortisolausschüttung einher, die wiederum ein Risikofaktor für Depressionen und weitere chronische Erkrankungen sei.
Was nun aber diesem unglaublichen Wust aus äußeren Reizen und permanenter innerer Unruhe entgegensetzen? Hauth bringt das Stichwort Resilienz ins Spiel, also eine psychische Widerstandsfähigkeit, mit akuten Krisen, aber auch dauerhaften Belastungen in angemessener Weise umzugehen. Manchen Menschen ist diese Fähigkeit von Natur aus gegeben, andere müssen sie sich hart – mitunter auch mit Therapie – erkämpfen. Hauth nennt fünf entscheidende Faktoren, die es für mehr Stressresistenz braucht: soziale Unterstützung bei der Arbeit, außerhalb der Arbeitswelt Beziehungen und Kommunikation pflegen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Selbstwirksamkeit), Optimismus (Positives jeden Abend notieren) und Hoffnung (Zuversicht trainieren).
Darüber hinaus empfehlen beide Experten, mehrmals die Woche Ausdauersport zu betreiben, um Stress abzubauen und Depression und Angst vorzubeugen. Wer es lerne, seine Ansprüche an die eigene Leistungsfähigkeit realistisch zu formulieren, der laufe weniger Gefahr, sich in der Stressspirale zu verlieren.
Hilfe gibt es hier:
- Die Telefonseelsorge ist unter der Rufnummer (08 00) 111 0 111 sowie (08 00) 111 0 222 oder 116 123 rund um die Uhr zu erreichen. Beratung via Chat, Mail und vor Ort: https://www.telefonseelsorge.de
- Eine Online-Beratung für Kinder und Jugendliche bietet: https://www.nummergegenkummer.de
- Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat ein Info-Telefon Depression eingerichtet. Erreichbar unter (08 00) 33 44 5 33 am Mo., Di. und Do. 13-17 Uhr sowie Mi. und Fr., 8.30–12.30 Uhr
- Ambulante Behandlung in dringenden medizinischen Fällen: Ärztlicher Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen, telefonisch erreichbar unter 116 117 (rund um die Uhr)
- Meldung von lebensbedrohlichen Notfällen: Rettungsdienst, telefonisch erreichbar unter 112 (rund um die Uhr).